Kriege sind nicht sauber oder gerecht
Kriege sind nicht sauber oder gerecht

Kriege sind nicht sauber oder gerecht

Gibt es gerechten Kriege?

Spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine muss man fragen, ob die Anti-Hitler-Koalition den Faschismus (als besondere Form des Nazismus) nur mit weißen Fahnen und warmen Worten hätte besiegen können. Die Verteidigung der Sowjetunion gegen den faschistischen Aggressor forderte viele Opfer und war somit auch ein Krieg. Ein Krieg ist nie gerecht. Es geht darum, ihn zu verhindern.
In der Ukraine werden „westliche Werte“ verteidigt; deshalb seien EU und Nato verpflichtet, der Ukraine Waffen zu liefern, zu unterstützen und damit Kriegspartei zu werden. Wo bleiben die Sabinerinnen, die sich zwischen den Kriegsparteien stellen? Sie gibt es, aber nicht in der politischen Elite. Diese spricht von „Zeitenwende“ und unterstellt, die bipolare Welt (Ära des Kalten Krieges) wäre nach dem Kollaps vor über 30 Jahren auf ethische Werte und an Normen ausgerichtet gewesen. Politische Eliten sprechen jetzt nur vom Krieg in Europa und unterschlagen dabei die vielen Kriege, die sie an der Peripherie und im europäischen Hinterhof der Nato (wie in Jugoslawien) zur Durchsetzung ihrer Interessen geführt haben.
Früher galten Kriege nicht per se als verbrecherisch. Wenn Krieg die Fortsetzung der Politik mit speziellen Methoden ist, sind dazu Konventionen erforderlich, die regeln, welche Handlungen im Krieg nicht zulässig sind und daher verbrecherisch genannt werden. Politische Eliten meinen, Krieg könne man beherrschen. Nein: Jeder Krieg ist ein Monster.
Wenn Krieg als Verteidigungsmaßnahme gerechtfertigt sein soll, heißen Kriegsminister heute Verteidigungsminister. Auch Angriffskriege werden mit Verteidigung legitimiert. Werden Menschenrechte über das Völkerrecht gestellt, werden damit auch Kriege gegen den Terror begründet, wie die USA nach Nine Eleven. Sind „Regime Change“ legitim, wenn sie der Gerechtigkeit oder sonst wem zum Sieg verhelfen? Solche Überlegungen bestimmen nicht nur die Kriegsziele der imperialistischen USA, sondern auch das kapitalistische Russland.
Die Begründung, mit der jetzt gefordert wird, die Bundeswehr so schnell wie möglich aufzurüsten, ist irreführend. Durch Aufrüstung werden Kriege nicht verhindert. Die Kriegsgefahr ist ins Unermessliche gestiegen, seitdem der Westen Abrüstungsverträge gekündigt hat, und das Ende des Kalten Krieges als Sieg und Ende der Geschichte feiert. Zudem lassen sich Bedrohungen, wie Klimakatastrophe, Ressourcenknappheit, Artensterben, Pandemien, und auch Cyberkonflikten oder Terrorismus, nicht militärisch bekämpfen.

Es gibt auch keine sauberen Kriege
Die Organisation Human Rights Watch (HRW), mit Hauptquartier in New York City und 90 Millionen USD jährlich, sowie 450 Mitarbeiter in 50 Ländern, will kritisch und unparteiisch weltweit über Menschenrechtsverletzungen im Sinne der Opfer berichten. Sie ist für China z.B. ein Paradebeispiel einer US-Organisation, die einen nicht akzeptablen, liberalen Universalismus propagiert und eng mit der US-amerikanisch geprägten Globalisierung verbunden ist. Mit Verweis auf den als „humanitäre Intervention“ getarnten Irak-Krieg der USA meint HRW gelinde, auch „offene“ Gesellschaften (ein für Liberalismus, also für Freiheit stehendes Modell) sind vor Menschenrechtsverletzungen nicht gefeit.
In diesen Tagen bestätigte HRW Vorwürfe von Hinrichtungen ukrainischer Zivilisten in Butscha, die augenscheinlich Opfer von Kriegsverbrechen sind. „Völkermord“ oder „Inszenierung“, so die Kriegsparteien. Dies ist noch gründlich zu untersuchen. In diesem Zusammenhang stellt die Organisation fest: „Die Ukraine treibe die Militarisierung der Städte unzulässig voran, indem sie schwere Geschütze in Städte bringe: Wenn die ukrainische Regierung dies nicht vermeiden kann, dann müssen die Zivilisten evakuiert werden. Dies geschehe aber nicht.“ Warum nicht und wer verhindert das? Der Berater Selenskis Arestovich meint, weil die Ukrainer eine totale Verteidigung ermöglichen müssten! Mit dieser Argumentation vor dem Internationalen Strafgerichtshof werde die ukrainische Regierung Schwierigkeiten haben, meint die HRW mahnt, auch die mutmaßliche Gewalt an russischen Kriegsgefangenen schnell aufzuklären.
Auch Amnesty International sammelt Beweise für Kriegsverbrechen und will sie völkerrechtlich ächten. Angriffe, bei denen Zivilpersonen getötet oder verletzt werden, stellen Kriegsverbrechen dar. Bei der Belagerung der Städte kommt es zu „Kollateralschäden“. Die Zerstörung der zivilen Infrastruktur und die Einschränkung des Zugangs zu Medizin und Gesundheitsversorgung sei Bestandteil der russischen Kriegstaktik. Das verstößt gegen das humanitäre Völkerrecht und internationale Menschenrechtsnormen. Doch weder Russland noch die Ukraine haben völkerrechtlich verbindliche Verträge unterzeichnet, die z.B. Streumunition verbieten. Auch die USA, China oder Indien nicht.
Lt. „Washington Post“ gehört zur Taktik der ukrainischen Kriegführung die Vermischung militärischer und ziviler Verteidigung. Auch das ist ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Praktisch jedes Viertel in den meisten Städten ist militarisiert worden und werde so potenzielles Ziel russischer Streitkräfte, die das als Provokation deuten. Kiewer Wohnvierteln seien Büros, Wohnungen, gar Restaurants in Stützpunkte der ukrainischen Armee, sowie der bewaffneten Freiwilligen-Miliz umgewandelt worden. Völkerrechtsexperten befürchteten daher, die Platzierung militärischen Geräts in zivilen Gebieten könne die Bemühungen schwächen, Russland für mögliche Kriegsverbrechen rechtlich zur Verantwortung zu ziehen, so die Zeitung. Russland nennt diese ukrainische Kriegstaktik eine Provokation, mit der auch durch Inszenierungen Russland der Tötung von Zivilisten bezichtigt werden soll.
Auch der Internationale Strafgerichtshof hat Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine aufgenommen. Er untersucht darüber hinaus auch die seit 2014 (Maidanrevolution) mutmaßlich begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Jeder Krieg hat seine Vorgeschichte
Eigentlich begann der Konflikt 1991, als die Sowjetunion aufhörte zu existieren. Die Union zerfiel in mehr oder weniger eigenständige Republiken, in denen Hunderttausende Russen lebten, die über Nacht zu Fremden in ihrer Heimat und zu Bürgern zweiter Klasse wurden. Nicht nur die Ukraine driftete Richtung Westen. Russland sah und sieht im Näherrücken insbesondere der Nato eine Bedrohung. Der Krieg begann schon 2014 in der Ostukraine, um Donezk und Luhansk, wo Russen die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Diese fühlten sich mehr Russland zugehörig und wollten sich separieren. Im zerfallenden Jugoslawien lieferte der Westen noch Waffen an die Separatisten und bombte selbst mit. Seit 2014 liefert der Westen Waffen an die Ukraine gegen die Separatisten im Donbass. Jeweils mit entgegengesetzten Begründungen. Typisch Doppelstandard. Im Donbass-Krieg gegen die Separatisten waren 13 000 Todesopfer zu beklagen. Im europäischen Westen gab es keinen Aufschrei, keine erschreckenden Bilder. Um die pro-russischen Kriegsopfer scherte man sich im Westen einen Dreck. Oder gelinde gesagt: Das Elend blieb im restlichen Europa ein Randthema. Die Zahl der Flüchtlinge (Binnenvertriebene) wurde auf rund 1,5 Millionen geschätzt. Eine Million Menschen sind ins russische Heimatland geflohen, oder wurden dorthin evakuiert. Die Infrastruktur und die öffentliche Verwaltung wurden durch Angriffe ukrainischer Truppen weitgehend zerstört. Wohnhäuser waren Ziele, ebenso wie Kindergärten und Schulen. Genozid hin oder her, man kann diesen Krieg der Ukraine nicht einfach so abtun. Auch das gehört zum Doppelstandard.
In der Ukraine gibt es unterschiedliche Strömungen der Neuen Rechten und offen neonazistische Gruppierungen, in der Asow, eine dem ukrainischen Innenministerium unterstehende Freiwilligenmiliz, eine zentrale Rolle spielt. Neben „Asow“ gehört auch der „Donbass“ dem „Rechten Sektor“ an. Während sich in Deutschland spätestens mit dem Anschlag von Halle und dem Mord an Walter Lübcke der sicherheitspolitische Diskurs gegenüber der extremen Rechten nachhaltig verändert hat, ist das in der Ukraine noch nicht so. In der Ukraine wird wie im Westen die Kritik an der rechten Bewegung als russische Propaganda abgetan.
Wenn das Argument, gegen Faschisten vorzugehen, zur Begründung eines Krieges dient, muss man es verurteilen. Aber man kann es nicht einfach abtun und unter den Tisch kehren. In Russland wird Faschismus noch anders bewertet als in Deutschland. So wie für Israel der Holocaust eine besondere Bedeutung hat.
Russlands offizielle Kriegsziele „Denazifizierung“ und „Entmilitarisierung“ der Ukraine hätten auch mit friedlichen Mitteln erreicht werden können. Der Krieg hätte auch vermieden werden können, wenn die Ukraine und der Westen diese tatsächlich existierenden Gründe ernst nehmen und nicht einfach ignorieren würden.

Zeitenwende?
Für eine wirkliche Zeitenwende braucht es zuerst ein Ende aller menschen- und völkerrechtlichen Doppelstandards. Zudem braucht es ein Ende der Blockkonfrontation und der Aufrüstung. Eigentlich ist Krieg an sich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sollte völkerrechtlich geächtet werden. Die UNO ist nach dem 2. Weltkrieg zur Erhaltung Weltfriedens und zur Einhaltung des Völkerrechts geschaffen worden. Sie ist aber in dieser Welt blockiert, weil sich die darin vereinten 193 Nationen nicht einigen können. Der vom Westen geforderte Ausschluss Russlands aus dem Sicherheitsrat verschlimmert nur alles und treibt es auf die Spitze. Auf welche Seite im drohenden Krieg gegen Russland oder China sollte sich die EU stellen? Austragungsort wäre zuerst Europa, wenn es nach den USA geht. Die Aufforderung des US-Präsidenten Joe Biden zum Regimewechsel in Russland war kein Missverständnis. Sie ist unmissverständlich und führt zum Krieg. Und sie entspricht genau der Politik, die die USA und der ihm angehörende Westen seit 1945 betreiben. Die hochgerüstete USA taumelt immer schneller Richtung Autoritarismus. Die EU sollte sich dagegen multilateral orientieren, weg von der Blockkonfrontation. Von der Europäischen Union zur Europäischen Republik, weg von der Nationalstaaterei. Der Abbau der Spannungen, die zum Ukraine-Konflikt geführt haben, kann nicht gegen, sondern nur mit Russland erreicht werden. Liberale Demokratien müssen auch mit einer Illiberalen Demokratie verhandeln, um nicht gegen ihre eigenen Werte zu verstoßen.

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