Die ukrainische Bevölkerung war 2014 tief gespalten. Den proeuropäischen Putsch in Kiew wollte die Bevölkerung im Donbass und auf der Krim nicht akzeptieren. Die Separatisten im Donbass wurden von Russland unterstützt und die proeuropäische Regierung in Kiew wurde vom Westen unterstützt. Hier drängt sich ein Vergleich auf, z. B. mit den katalanischen Separatisten. In der Frage zur Abspaltung vom Mutterstaat. Bzw. der Souveränität Kataloniens ist die spanische Bevölkerung tief gespalten. Der Westen würde aber nie auf die Idee kommen, eine separatistische Bewegung in Spanien zu unterstützen. Und noch ein Vergleich drängt sich auf.
Nachdem es dem Westen durch einen völkerrechtswidrigen Nato-Krieg gelungen war, Jugoslawien zu zerstückeln, fühlen sich serbische Separatisten im Kosovo Serbien zugehörig. Der Westen hat nach wie vor Interesse daran Serbien aufgliedern und unterstützt natürlich den Kosovo und nicht die serbischen Separatisten.
Ein weiterer Vergleich bietet sich Taiwan an, das sich zu einem der größten Konfliktherde herausgebildet hat. 1949 hat die VR China den Bürgerkrieg gewonnen. Die Verlierer sind auf die Insel Taiwan geflüchtet und wurden zu Separatisten, die einseitig ihre Unabhängigkeit von China erklärt haben. China und der große Rest der Welt haben den selbst ernannten Staat nie anerkannt. Im Interesse des Friedens sollte dieser sich weit in der Vergangenheit gebildete Zustand nicht mit kriegerischen Mitteln geändert werden. Dennoch mischen sich die USA kraft ihrer Stellung als Hegemonialmacht massiv in die inneren Angelegenheiten Chinas ein und spitzen den Konflikt zu. So wie sie es seit Ende des 2. Weltkrieges immer taten, wenn es um ihre Interessen in der Welt ging. Die USA sind (noch) abhängig von der taiwanischen Chipproduktion. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der USA, wie auch die Abhängigkeiten Westeuropas, war die Folge der profitorientierten Auslagerung einheimischer Produktion in Länder, in denen man billige Arbeitskräfte ausbeuten konnte. Also selbstverschuldetes Elend.
So funktionierte die bipolare Welt nach dem 2. Weltkrieg. Und so funktioniert die unipolare Welt der USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, bzw. seit dem Ende des Kalten Krieges. Der eigentliche Aggressor im Kalten Krieg waren die USA und ihre Verbündeten auf ihrem Kreuzzug gegen den Kommunismus. Erinnert sei hier nur an die gewaltsame Einmischung der USA in Südostasien und Lateinamerika. Ein Ereignis, das die Welt bis heute prägt. Vincent Bevins beschreibt in seinem Buch „Die Jakarta-Methode“ die Aufstandsbewegungen und kommt zu dem Schluss: Den Vietnamkrieg gewannen die USA erst in Indonesien. Um das blockfreie Indonesien ins prowestliche Lager zu zwingen, unterstützten die USA 1965 ein antikommunistisches Massaker. Die USA und das indonesische Militär ermordeten dazu etwa eine Million Zivilisten.
Anders als andere Großmächte wie China und Russland mit jahrtausendealten Wurzeln sind die USA in den 244 Jahren ihrer Existenz (von 1720 bis 2020) in insgesamt 70 souveräne Länder eingefallen. Nur in 16 Jahren ihrer kurzen Geschichte habe sie keinen Eroberungskrieg geführt (so Wolfram Elsner in „China und der Westen. Aufstiege und Abstiege. Vom alten Reich der Mitte zum gegenwärtigen Konflikt“). Westliche Werte, wie Freiheit und Demokratie, wurden dafür missbraucht oder mussten als Begründung für eine sog. „wertegeleitete Außenpolitik“ herhalten.
Aber es kündigt sich das Ende einer amerikanisch dominierten Weltordnung an. Offensichtlich bildet sich eine multipolare Welt, in der sich gleichberechtigte Staaten auf Augenhöhe gegenüberstehen, für die das Völkerrecht gleichermaßen gilt. China, Russland und der Rest der Welt haben keine Hegemonialansprüche. Bisher konnten die USA, hinter der die westliche Welt samt Nato steht, ihre Interessen auf Kosten der restlichen Welt sehr einseitig durchsetzen.
Atomwaffen gehören abgeschafft. Zuerst eingesetzt wurden sie von den USA. Groß ist das westliche Entsetzen, weil die Russen Atomwaffen nun in Belorussland stationieren. Widerstand dagegen ist gut, kann aber gerade der USA und dem Westen nicht abgekauft werden, solange sie Atomwaffen in der ganzen Welt stationieren. Mit welchem Recht? Sie nennen es „nukleare Teilhabe“. Auch die Nato gehört abgeschafft, die nur von den USA mit der größten Waffenindustrie gebraucht wird. Im Westen gilt es schon als normal, das Recht und die Fakten so zu biegen, dass es den jeweiligen eigenen Interessen dient. Messen mit zweierlei Maß und Heuchelei ist für die westliche Welt gang und gäbe.
Es wäre naiv zu glauben, dass sich nach der Aggression Russlands daran etwas geändert hätte. Die USA, wie auch die Nato oder der Westen, haben sich nicht über Nacht zu Interessenvertreter des Weltfriedens gemausert, nur weil sie aktuell an der Seite eines überfallenen Staates stehen. Bei Lichte betrachtet spielen sie den Retter der Überfallenen doch nur, weil sich in der Ukraine die Gelegenheit bot, vor allem gegen einen alten Widersacher, der ihren Interessen im Wege steht, in den Krieg zu ziehen. Das Argument gegen einen Aggressor vorzugehen ist doch nur vorgeschoben.
Das hier ist keine Rede für einen Aggressor oder für eine Aggression, sondern der Versuch an die eigentlichen Hintergründe eines aktuellen und doch alten Konfliktes zu erinnern. Die erschließen sich nur, wenn man neben dem aktuellen Geschehen auch die Vorgeschichte betrachtet.