Vorgeschichten
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Die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges begann eigentlich schon 1990, als Gorbatschow dem Westen anbot, seine Truppen komplett abzuziehen, ohne sich das Versprechen dafür bestätigen zu lassen, dass die Nato samt Atomwaffen nicht weiter in Richtung Moskau vorrückt. Stattdessen bekam der Westen ein kapitalistisches Russland, dass sich nach 30 Jahren als Zuschauer jetzt wieder als Aktivist in das Geschehen eingreifen will. Proportional zur Wiederherstellung der nationalen Souveränität, territorialen Integrität und des nationalen Selbstwertgefühls Russlands und der Rückabwicklung der US-Konzerne, stieg Putins Ansehen in Russland und der Hass auf ihn im Westen.

So wie man nicht über einen Mörder urteilen kann, ohne sein Motiv zu kennen, kann man auch nicht über einen Aggressor urteilen, ohne die Vorgeschichte der Aggression zu kennen. Der Krieg in der Ukraine begann nicht erst vor einem Jahr, sondern schon 2014, also vor etwa 8 Jahre, mit der sog. Maidan-Revolution. Mit diesem Putsch wurden unter maßgeblicher westlicher Beteiligung der ukrainische Präsident in die Flucht geschlagen, der den Weg der Ukraine in westliche Bündnisse versperrte. Er wollte den Rubikon (die rote Linie Russlands) respektieren, nach der die Ukraine kein Nato-Land werden sollte, in dem Atomraketen auf Russland gerichtet sind. Das aber war das strategische Ziel des Westens schon seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Inzwischen ist der Ukraine-Krieg zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem Ukrainer nicht nur um ihre Souveränität, sondern auch mit westlichen Waffen gegen ihr ehemaliges „Bruderland“ Russland kämpfen. Dem Westen geht es um die Vernichtung Russlands. Nur deshalb dauert der Krieg an, denn ohne westliche Waffen wäre der Krieg schon lange beendet. Diese sich widersprechenden Interessen müssen diplomatisch und können nicht durch Krieg, oder durch andauernde, massive Waffenlieferungen gelöst werden.

Die ukrainische Bevölkerung war 2014 tief gespalten. Den proeuropäischen Putsch in Kiew wollte die russisch sprechende Bevölkerung im Donbass und auf der Krim nicht akzeptieren. Sie wurden zu Separatisten und im Donbass von Russland unterstützt. Die proeuropäische Regierung in Kiew wurde vom Westen unterstützt und führte Krieg gegen die Separatisten. Hier drängt sich ein Vergleich, z.B. mit den katalanischen Separatisten, auf. In der Frage zur Abspaltung vom Mutterstaat, bzw. der Souveränität Kataloniens ist die spanische Bevölkerung tief gespalten. Der Westen würde aber nie auf die Idee kommen, eine separatistische Bewegung in Spanien zu unterstützen. Und noch ein Vergleich drängt sich auf: Nachdem es dem Westen durch einen völkerrechtswidrigen Nato-Krieg gelungen war, Jugoslawien zu zerstückeln, fühlen sich serbische Separatisten im Kosovo Serbien zugehörig. Der Westen hat nach wie vor Interesse daran Serbien aufgliedern und unterstützt natürlich den Kosovo und nicht die serbischen Separatisten. Ein weiterer Vergleich bietet sich mit Taiwan an: 1949 hat die VR China den Bürgerkrieg gewonnen. Die Verlierer sind auf die Insel Taiwan geflüchtet und wurden zu Separatisten, die einseitig ihre Unabhängigkeit von China erklärt haben. China und der große Rest der Welt haben den selbst ernannten Staat nie anerkannt. Im Interesse des Friedens sollte dieser sich weit in der Vergangenheit gebildete Zustand nicht mit kriegerischen Mitteln geändert werden. Nichtsdestotrotz mischen sich die USA kraft ihrer Stellung als Hegemonialmacht massiv in die inneren Angelegenheiten Chinas ein und spitzt den Konflikt zu. Die USA sind (noch) abhängig von der taiwanischen Chipproduktion. Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten der USA, wie auch die Abhängigkeiten Westeuropas, war die Folge der profitorientierten Auslagerung einheimischer Produktion in Länder, in denen man billige Arbeitskräfte ausbeuten konnte. Also selbstverschuldetes Elend.

So funktionierte die bipolare Welt nach dem 2. Weltkrieg. Und so funktioniert die unipolare Welt der USA seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, in der der Kalte Krieg nur scheinbar beendet war. Erinnert sei an die Jakarta Methode, die die gewaltsame Einmischung der USA in Südostasien und Lateinamerika beschreibt. Anders als andere Großmächte wie China und Russland mit jahrtausendealten Wurzeln sind die USA in den 244 Jahren seit ihrer Existenz (von 1720 bis 2020) in insgesamt 70 souveräne Länder eingefallen. Nur in 16 Jahren (also in 6 % ihrer kurzen Geschichte) haben sie keinen Eroberungskrieg geführt (so Wolfram Elsner in „China und der Westen. Aufstiege und Abstiege. Vom alten Reich der Mitte zum gegenwärtigen Konflikt“). Westliche Werte, wie Freiheit und Demokratie, wurden dafür missbraucht oder mussten als Begründung für eine sog. „Wertegeleitete Außenpolitik“ herhalten.

Bisher konnten die USA, hinter der die westliche Welt samt Nato steht, ihre Interessen auf Kosten der restlichen Welt sehr einseitig durchsetzen. Aber es kündigt sich das Ende einer amerikanisch dominierten Weltordnung an. Offensichtlich bildet sich eine multipolare Welt, in der sich gleichberechtigte Staaten auf Augenhöhe gegenüberstehen, für die das Völkerrecht gleichermaßen gilt. China, Russland und der Rest der Welt hegen keine Hegemonialansprüche.

Atomwaffen gehören abgeschafft. Zuerst eingesetzt wurden sie von den USA. Groß ist das westliche Entsetzen, weil die Russen Atomwaffen nun in Belorussland stationieren. Widerstand dagegen ist gut. Krokodilstränen können aber gerade der USA und dem Westen nicht abgekauft werden, solange sie Atomwaffen in der ganzen Welt stationieren. Sie nennen es „nukleare Teilhabe“. Mit welchem Recht wollen sie der Welt vorschreiben, wer Atommacht ist oder nicht. Dieses Recht könnten sie haben, wenn sie für die Abschaffung von Atomwaffen weltweit eintreten würden. Auch die Nato gehört abgeschafft, die nur von den USA mit der größten Waffenindustrie gebraucht wird. Im Westen gilt es schon als normal, das Recht und die Fakten so zu biegen, dass es den jeweiligen eigenen Interessen dient. Messen mit zweierlei Maß und Heuchelei ist für die westliche Welt gang und gäbe.

Es wäre naiv zu glauben, dass sich nach der Aggression Russlands daran etwas geändert hätte. Die USA, wie auch die Nato oder der Westen, haben sich nicht über Nacht zu Interessenvertreter des Weltfriedens gemausert, nur weil sie vorgeben an der Seite eines überfallenen Staates zu stehen. Bei Lichte betrachtet spielt der Westen den Retter der Überfallenen doch nur, weil sich in der Ukraine die Gelegenheit bot, nicht nur gegen einen Aggressor, sondern vor allem gegen einen alten Widersacher, der ihren Interessen im Wege steht, in den Krieg zu ziehen. Wenn auch bisher nur „indirekt“. Das hier ist keine Rede für einen Aggressor oder für eine Aggression, sondern der Versuch an die eigentlichen Hintergründe eines aktuellen und doch alten Konfliktes zu erinnern. Die erschließen sich nur, wenn man neben dem aktuellen Geschehen auch die Vorgeschichte betrachtet.

Ein Kommentar

  1. Leider scheint diese Thematik eher gezielt ausgeblendet zu werden. Nun sind wir schon bei Kampfflugzeugen, Marschflugkörpern – und die Eskalationsstufen werden schön langsam gesteigert.

    Ich bin gespannt wo das ganze hinführen wird. Wer sich noch alles beteiligen wird, auf allen Seiten des geschehens..

    Heinz

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