Säuberung des Staates und Austausch der Eliten
Säuberung des Staates und Austausch der Eliten

Säuberung des Staates und Austausch der Eliten

Der über Nacht gescheiterte Putschversuch des türkischen Militärs hat nur Erdogan genutzt. Er nutzt ihn weiter zu einer groß angelegten Säuberungsaktion und eliminiert nicht nur die am Putsch Beteiligten, sondern weit darüber hinaus alle politischen Gegner. Bis jetzt sind etwa 19.000 Personen verhaftet, weitere 80.000 um ihre berufliche Existenz gebracht worden. Jetzt meint er, der Westen hat sich auf die Seite der „Putschisten“ gestellt. Als Begründung für sein hartes Durchgreifen, das einem diktatorischen Regime entspricht, verweist er u.a. auf die Säuberungsaktion in der DDR nach der Wende durch die BRD. Wenn sich bundesdeutsche Eliten über Erdogan´s Vorgehen echauffieren, müssten sie sich auch über den kompletten Austausch der Eliten in der DDR nach der Wiedervereinigung echauffieren. Was sie nicht tun, weil immer mit zweierlei Maß gemessen wird, je nach Interessenlage. Wohin die Verfolgung politischer Gegner in der Türkei führt, muss man sehen.
Wohin der komplette Elitenaustausch, der einer politischen Säuberung entspricht, im Osten Deutschlands geführt hat, ist bekannt. Der Elitenaustausch schuf in den neuen Bundesländern ein Problem zwischen Außenseitern (Mehrheit) und Etablierten (Minderheit). Er machte Tausende Funktionsträger der DDR zu Rentnern, Vorrentnern und Arbeitslosen. Lebensläufe, Lebensentwürfe, Qualifizierungen, Leistungen, Berufs- und Bildungsabschlüsse, individuelle und gesellschaftliche Wertorientierungen galten nur noch als Erblasten. Viele Ostdeutsche empfanden diese Art der Herstellung der deutschen Einheit als Kränkung. Die negativen Spätfolgen dieses innerdeutschen Vorgangs sind noch nicht vollständig absehbar, spiegeln sich aber in solchen Erscheinungen wie Pegida, AfD und Rechtsradikalismus bis hin zu NSU.
Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Beitritt der DDR sind Ostdeutsche in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert. Einer Studie der Uni Leipzig zufolge geht ihr Anteil sogar wieder zurück. Selbst bei den ostdeutschen Unternehmen ist der Anteil ostdeutscher Führungskräfte auf 33 % gesunken. In Elitepositionen kommt nur, wer bestimmte Laufbahnen beschritten hat. Die  Anerkennung vieler Qualifikationen der Ostdeutschen war politisch nicht gewollt. Ostdeutsche verfügten nicht über das notwendige Kapital, um in eine Existenz zu investieren, oder um Vorstandschef zu werden. Mit der Verteilung des Volksvermögens über die Treuhand gerieten 85 % des ostdeutschen Volksvermögens in westdeutsche Hände. Noch heute verfügen Ostdeutsche gegenüber Westdeutsche im Schnitt nur über 40 % des Vermögens. Schon daher waren sie von Elitepositionen ausgeschlossen und konnten z.B. kein Großunternehmen aufbauen. Unter den 500 reichsten Familien in der Bundesrepublik findet sich keine einzige Ostdeutsche.
Aber auch die Ostdeutschen, die zur Wendezeit 15 oder 16 Jahre waren und heute im besten Alter sind, besitzen keine Führungspositionen. Das betrifft auch westdeutsche Kinder aus den unteren Mittelschichten, die durch Bildungserwerb eigentlich die Chance hätten. Aber Reichtum und Macht bleiben quasi in der Familie (Besitzeliten). Auch bei den Ernennungs-Eliten in Verwaltung und Militär sind keine Ostdeutschen vertreten, weil es bei Eliten ein grundsätzliches Muster gibt, welches nichts mit Ost und West zu tun hat, sondern in der Natur von Eliten-Bildung und Eliten-Reproduktion liegt. Eliten reproduzieren sich in hohem Maße selbst, weil bestimmte Bildungswege, Bildungsniveaus oder sprachliche Ausdrucksfähigkeiten und Selbstbewusstsein in den Familien und Milieus weitergegeben werden (kultureller Sozialisationsprozess). D.h. Bewerber, die aus einem unbekannten Milieu kommen, einen fremden Dialekt sprechen (z.B. sächsisch) und eine andere Freizeitorientierung haben (als z.B. Golf oder Segeln), also nicht den richtigen Stallgeruch mitbringen, werden schnell wegen kultureller Differenzen ausgesondert, meint Soziologe Raj Kollmorgen. Neben ein breites bildungsbürgerliches Wissen sind Kenntnisse von den Verhaltensweisen der „besseren“ Kreise Voraussetzung, die einem die nötige Souveränität für den Aufstieg in die Elite verleiht. Wer souverän ist, verhält sich wie jemand, der weiß, dass er dazugehört. Selbst der Soziologe Michael Hartmann meint, wenn es um Spitzenposten in der Wirtschaft geht, zählt am Ende nicht die Leistung, sondern die Herkunft. Eliten sind Personen, die aufgrund ihres Amtes oder ihres Eigentums gesellschaftliche Entwicklungen maßgeblich beeinflussen. Selbst bei der Auswahl zwischen Männer und Frauen, oder zwischen „eingeborenen“ Deutschen und Menschen mit Migrationshintergrund entscheiden westdeutsche Eliten (Netzwerke der Macht) nach dem Stallgeruch, damit sie unter sich bleiben können.
An diesen Verhältnissen wird sich nur sehr langsam etwas ändern, auch wenn es eine steigende Anzahl von jüngeren Menschen gibt, die keinen Unterschied mehr zwischen Ossis und Wessis sehen. Dem widersprechen Indikatoren, an denen man die alte „innerdeutsche“ Grenze immer noch nachvollziehen kann, wie z.B. beim Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, bei Arbeitsproduktivität, wirtschaftlichen Forschungskapazitäten, sowie bei Einkommen und Vermögensverteilung. Ostdeutschland hängt nach der treuhänderischen Deindustriealisierung im Wesentlichen immer noch am Tropf Westdeutschlands. Die Annäherung der Lebensverhältnisse in Ost und West trifft zumindest nicht auf die gesellschaftlichen Eliten zu. In den fünf ostdeutschen Landesregierungen sitzen weniger Politiker mit ostdeutscher Herkunft als 2004. Merkel und Gauck bilden in der Politik die berühmte und zugleich traurige Ausnahme, die nur die Regel bestätigt. Sie sind von politischen Eliten aus politischen Erwägungen heraus in diese Position gewählt worden.

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