Rechtsruck oder Wechselstimmung?
Rechtsruck oder Wechselstimmung?

Rechtsruck oder Wechselstimmung?

Wer genauer hinschaut, dem wird immer noch schwarz vor Augen. Viel hat sich nicht geändert gegenüber der letzten Wahl. Nur dass die Farben Schwarz (CDU) und Hellblau (CSU) schon recht verblasst sind. Das neue Blau in Sachsen (AfD) ist aber dem Hellblau zum verwechseln ähnlich, d.h. es ist auch nur ein verblasstes Schwarz. Neu und bedauerlich ist, dass eine knappe Mehrheit für Rot/Rot/Grün verloren gegangen ist, die es 2013 rechnerisch noch gab. Aber da hieß es trotz der weitgehenden programmatischen Übereinstimmung, dass es in Deutschland keine Zustimmung für Rot/Rot/Grün gebe. So gesehen dürfte es auch keine Jamaika-Koalition geben. Lediglich 9,3 % der Wähler können sich eine Koalition aus Union, FDP und Grüne vorstellen. Nicht mal eine Mehrheit in diesen Parteien selbst will Jamaika (Schwarz/Gelb/Grün). Die Chance für einen Politikwechsel haben die SPD wie auch die Grünen vermasselt, weil sie nicht bereit waren, auch nur einen Schritt auf die Linke zuzugehen, z.B. in der Frage, dass von Deutschland kein Krieg mehr ausgehen darf. Die SPD glaubt aber immer noch, sie könne die nächste Wahl allein gewinnen. Verbaut wurde die Chance erst jetzt mit dem Wechsel der unzufriedenen Wähler zur AfD, weil die die Hoffnung auf einen Politikwechsel mit den „etablierten“ Parteien verloren haben. Bezieht man die Stimmenanteile auf alle Wahlberechtigten, entfallen auf das Konservative Lager (Union, FDP und AfD lediglich 36,6%. Ein Drittel (!) aller Wahlberechtigten haben nicht, ungültig oder unter 5% gewählt. Politikwechsel hat wieder eine Chance, wenn nur etwa 2 Millionen der Wechsel- und Nichtwähler wieder zu Rot/Rot/Grün zurück wechseln.
WahlLager
Die großen Wahlverlierer sind die Regierungsparteien Union und SPD. CDU/CSU verliert gegenüber 1990 zehn Prozentpunkte, feiert sich aber als Wahlsieger. Der Stimmenanteil der SPD hat sich seit 1989 halbiert. Obwohl lt. Infratest dimap 84% der Wähler glauben, Deutschland gehe es wirtschaftlich gut, sind nur 51% der Wähler mit der Arbeit der Bundesregierung und der CDU zufrieden. Die Unzufriedenen haben lediglich die Seite gewechselt, nicht aber ihre politische Einstellung. Allein 1,3 Millionen Wähler haben statt CDU/CSU jetzt wieder FDP und fast eine Mio AfD gewählt. Gauland wäre als ehemaliges CDU-Mitglied und jetziger AfD-Vize ein typischer Vertreter der Unzufriedenen, wenn er nicht rechtsradikal wäre. Er will sich jetzt nicht nur „sein Volk“, sondern auch seine CDU zurückholen. So gesehen erlebt Deutschland keinen Rechtsruck, es bleibt rechts. Mit dem Wählerwechsel in Richtung AfD bleiben „nur“ die rechten Politikfelder weiter besetzt, die die Union unter Merkel verlassen hat. Die CSU will jetzt „die offene Flanke schließen“, sprich nach rechts rücken. Sie kalkuliert, dass je weiter sie sich nach rechts bewegt, werden die Unzufriedenen wieder zurück zum Original wechseln. Geboren aus Unzufriedenheit entstand eine Wechselstimmung. Viele Wechselwähler sind Protestwähler und umgekehrt, ihnen fehlt politische Aufklärung. Insofern ist die Wechselrichtung nicht nachhaltig. Denn je mehr sich die AfD als Partei „völkischer Nationalisten“ entblößt, werden auch die fast 1 Mio Wechselwähler aus SPD, Grüne und Linke nicht noch mal extrem rechts wählen. Vertagt hat sich auch wieder das Problem, wohin die 25 % der Nichtwähler (Zweitstärkste Kraft in Deutschland), wechseln, wenn sie sich denn bewegen.
Für 57% aller Wähler ist das Programm einer Partei wahlentscheidend, weniger ihr Kandidat. Warum bekommen Kandidaten dann bei der Wahl die Erststimme? Wahlentscheidend waren auch weniger die Zuwanderung von Flüchtlingen als vielmehr z.B. die Schul- und Bildungspolitik. 70% aller Wähler machen sich berechtigte Sorgen, dass „die Gesellschaft immer weiter auseinander driftet“. Vor allem deshalb sind die Regierenden abgestraft worden. 38% haben Angst, dass „zu viele Fremde nach Deutschland kommen“. D.h. der große Teil aller Wähler ist für eine bessere Integration der Flüchtlinge, die nicht ohne Grund flüchten. Das hat die Elite in CDU/CSU, FDP und AfD noch nicht realisiert. 55% aller Wähler sind unzufrieden mit Merkels Flüchtlingspolitik, im Osten mehr als im Westen. Wobei sich die Unzufriedenheit der AfD-Wähler politisch von denen der Linkswähler diametral unterscheidet. AfD-Wähler haben die AfD nicht wegen ihres Programms gewählt, denn das ist für deren Macher nur sekundär. 60% der AfD-Wähler haben AfD aus Enttäuschung gewählt, nicht aus Überzeugung. Fast alle AfD-Wähler wählen die Partei, weil sie sich „nicht mehr sicher fühlen“, weil sie den „Einfluss des Islam verringern“ und den „Zuzug von Flüchtlingen begrenzen“ wollen. Dagegen meinen 86% aller Wähler, dass sich diese Partei „zu wenig von Rechtsextremen abgrenzt“. Aber die Masse der Unzufriedenen sind sind nicht die Rechtsextremen.
Die SPD hat für ihre Jahre als der kleinere Koalitionspartner mit den Konservativen die Quittung bekommen und lehnt jetzt den Verbleib in der große Koalition ab (die gar nicht mehr groß wäre). Koaliert sie ein weiteres mal mit der Union, wäre das Selbstmord. Die Konservativen drängen jetzt die SPD, die große Koalition weiterzuführen. Selbst die Kreide fressende FDP und Grünen appellieren an die demokratische Verantwortung der SPD (als Retter der Nation vor dem Rechtsruck), obwohl sie doch selbst an die Macht wollen. Aber das ist schon wieder neuer Wahlkampf, obwohl der jüngste gerade erst beendet ist.
Wenn die SPD wieder zu alten sozialdemokratischen Zielen finden will, müsste sie sich noch sehr viel bewegen. 53% der Wähler meinen, dass die Grünen zur Union passen, so wie sie sich entwickelt haben. Der Wahlgewinner (schwarz, konservativ) hat auch keine andere Option, als Jamaika, wenn die SPD konsequent bleibt. Eine knappe Mehrheit von 53% der SPD-Wähler ist immer noch für eine Koalition mit der Union, entgegen ihrer Führung. Bei FDP und Grünen steht eine satte Mehrheit ihrer Wähler für eine Koalition mit der Union. Gegen die Wählerstimmung wird die CDU eine Jamaika-Koalition versuchen. Sie hat es inzwischen mit 3 Partnern zu tun, weil die CSU gegen die Kanzlerin opponiert. FDP und Grüne wollen nur pokern. Mit der AfD will noch keiner, obwohl es inhaltlich große Übereinstimmungen mit dem konservativen Lager gibt.
69% aller Wähler meinen, dass sich „mit der Union die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet hat“, bzw. „der Wohlstand ungleich verteilt ist“. Die einzige Partei, die das lt. Ihrem Programm ändern will, und die die „Dinge beim Namen nennt“, ist die Linke, meinen 81% der Wähler. Dagegen ist der Stimmenanteil der Linken relativ gering, und damit auch ihre Möglichkeiten, daran etwas zu ändern. Nur 16% aller Wähler sprechen der Linken Kompetenz in sozialen Fragen zu. Ein Widerspruch! Wie lange noch? Zu lange wurde die Linke dämonisiert, mit politisch unlauteren Mitteln. Gerade mal 20% aller Wähler finden, dass die SPD zur sozialen Gerechtigkeit steht. Das entspricht ihrem Stimmenanteil. Dagegen sind sich 59% der SPD-Wähler unklar darüber, wofür die Partei eigentlich steht. Ihnen steht der Weg in die Linke offen, meinen 96% der Linke-Wähler, die wissen was sie wollen. 57% aller Wähler glauben an die wirtschaftliche Kompetenz der Union, zu Unrecht. Ihnen fehlt Aufklärung. Aber wer will sich schon aufklären lassen. Alle wissen es besser. Den Grünen wird nur nennenswerte Kompetenz in Umweltpolitik zugesprochen. Nicht nennenswerte Kompetenzen sehen Wähler bei der FDP (8% Steuerpolitik), und bei der AfD (8% Flüchtlingspolitik).
Bedauerlich ist, dass die Parteien schon wieder in ihrer Tagespolitik versunken sind, bevor sie realisiert haben, welche Botschaften diese Wahl überhaupt senden sollte.

 

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