Mit der Wahl Bolsonaros als Präsident Brasiliens, dem größten Land Lateinamerikas, ist der Rechtsruck auf dem Subkontinent, der ein Jahrzehnt lang mit wenigen Ausnahmen von linken und gemäßigt linken Regierungen gelenkt wurde, besiegelt. Nach der Wahl schwor er vor Gott, dass er die Verfassung, die Demokratie und die Freiheit verteidigen und gegen Sozialismus, Kommunismus, Populismus vorgehen will. Als Rechtsextremist will er Linksextremismus bekämpfen. Die Kriminalität soll mit einem Freibrief für Polizisten für das Töten mutmaßlicher Verbrecher bekämpft werden. Funktionieren demokratische Institutionen nicht, die sich in der jungen Demokratie des Landes entwickelt haben, besteht die Gefahr, dass das Land auf ein autoritäres Regime zusteuert, in dem Gewalt, Hass und Verfolgung zur Norm werden. Die Brasilianer hatten die Nase voll von den jahrelangen Korruptionsskandalen und einer massiven Wirtschaftskrise seit 2012, die eine Unzufriedenheit ausgelöst hat, die sich Bolsonaro zunutze machte. Da wo die asphaltierten Straßen enden, hinter den weißen Hochhäusern am Strand, ist die Wohnungsnot groß. Die Strom- und Abwasserversorgung ist improvisiert und fällt oft aus. Die ständig steigenden Mieten können sich die meisten Bewohner nicht mehr leisten und landen zwangsweise in den Fawelas („Armen-“ oder „Elendsviertel“ in Randlagen der großen Städte Brasiliens). So gesehen haben die Brasilianer auch für einen Neuanfang gestimmt.
In der Regierungszeit „Lula“ da Silvas (Präsident 2003 –2011) wurden Millionen Menschen durch Sozialprogramme aus der Armut befreit. Als jedoch ein gigantisches Korruptionsnetz ans Licht kam, in die Lula verstrickt wurde, wurde er von der technokratischen Dilma Rousseff abgelöst. Aus Enttäuschung wurde Wut, die sich von Lima auf seine gesamte politische Klasse übertrug. Für die Linke blieb Lula ein „politischer Gefangener“, weil ihm seine Vergehen nicht nachgewiesen wurden. Für die Rechte ist er der „größte Verbrecher“. Der Widerstand der Eliten gegen soziale Veränderungen in einem der ungleichsten Länder der Welt ist jedoch groß. Die Hälfte der Kongressmitglieder stand unter Verdacht, sich bereichert zu haben. Das war der Ausgangspukt vor der Wahl.
Der stärkste Konkurrent Bolsonaros, der ehemalige Bürgermeister der Millionenmetropole São Paulo Fernando Haddad, wurde von Lula ins Rennen geschickt und hatte daher nur eine geringe Chance. Hinter Haddad stehen linke Parteien, wie die Kommunistische und die Sozialistische. „Ele Não!“ (Nicht er), protestierten Hunderttausende Brasilianer vor der Wahl gegen den rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten. Ein brasilianischer Philosoph nannte Bolsonaro einen Faschist. Andere befürchten einen Rückfall in eine Militärdiktatur. Einige fragen sich, wohin sie wohl am besten auswandern. Für die vielfältigen sozialen Bewegungen (die feministischen, indigenen, afrobrasilianischen, gewerkschaftlichen, queeren und anderen) kommen harte Zeiten, ohne die Brasilien nicht mehr bunt und fröhlich wäre.
Die Masse des Wahlvolkes hat jedoch (noch) nicht gescheckt, dass Bolsonaro den Teufel mit dem Beelzebub austreiben will. Dass sie einen Rechtsradikalen gewählt haben, berührt sie nicht. Bolsonaro meint z.B., dass er lieber tot wäre, als einen schwulen Sohn zu haben. Zu einer Abgeordneten sagte er, dass sie es nicht verdiene, vergewaltigt zu werden, weil sie zu hässlich sei. Er forderte, politische Gegner zu erschießen und will die UNO verlassen. Bolsonaro inszenierte sich als Anti-Establishment-Politiker. Er verstand es, mit rassistischer, sexistischer und homophober Hetze die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Anders als Donald Trump in den USA ist er jedoch kein direkter Vertreter des Großkapitals. Zwar ist er gut situiert, aber kein Multimillionär. Der Ex-Militär Bolsonaro fordert die Bewaffnung der Bevölkerung oder die Einführung von Folter und Todesstrafe und erhält dafür sogar Zustimmung. Denn 2017 starben in Brasilien mehr als 60.000 Menschen eines gewaltsamen Todes, so viele wie nirgendwo sonst auf der Welt. Doch die Gewalt in Brasilien hat auch eine Adresse und die Opfer haben eine Hautfarbe: Vor allem schwarze Jugendliche aus armen Vierteln. Wie Donald Trump verachtet Bolsonaro die traditionellen Medien und macht durch Fake-News und Hass auf sich aufmerksam. Ein Großteil der Brasilianer bezieht seine Informationen fast nur noch über die sozialen Netzwerke, wie Facebook. Und so funktionierte auch der Wahlkampf. WhatsApp ist zur wichtigsten Waffe der Rechten geworden. Über den Kurznachrichtendienst wurden Falschinformationen in die Welt gesetzt. So wurde z.B. ein geplantes Programm der Arbeiterpartei PT zur Bekämpfung von Homophobie (gegen Lesben und Schwule gerichtete soziale Aversion) an Schulen zur »Frühsexualisierung von Kindern« umgedichtet. Soziale Bewegungen, z.B. die der wohnungslosen Wohnungsbesetzer, will er verbieten, und die Mehrheit seines Kabinetts soll aus Militärs bestehen. Über die brasilianische Militärjunta von 1964 bis 1985 sagt er: Der einzige Fehler der Diktatur war, dass sie nur gefoltert und nicht getötet hat.
Der rechtsradikale Präsident, der die Wahl erst im 2. Wahlgang erreichte, spaltet das Land. Hinter ihm stehen weite Teile der Mittel- und Oberschicht, die die Arbeiterpartei verachtet, sowie fast die gesamte Wählerschaft des bürgerlichen Lagers, deren traditionellen Parteien PSDB und MDB bei den Wahlen abstürzten. Zudem haben sich große Teile des Finanzkapitals und Wirtschaftsverbände hinter seine Kandidatur gestellt.
Irgendwie kommt einem Vieles bekannt vor. Der Zerfallsprozess des politischen Parteiensystems und der nachvollziehbare Frust auf das Establishment, der scheinbar die ganze westliche Welt erfasst hat. Sowie die fatale Gleichgültigkeit, bzw. Verharmlosung rechtsradikaler und faschistischer Tendenzen. Und nicht zuletzt, dass gerade die Rechtsradikalen die sozialen Probleme nicht lösen werden. Flucht und Emigration spielt zwar in Brasilien und im Wahlkampf nicht die entscheidende Rolle, der Hass auf Emigranten existiert aber ebenso und wird von Bolsonaro angeheizt.