Wird Mali jetzt demokratisch?
Wird Mali jetzt demokratisch?

Wird Mali jetzt demokratisch?

(Fortsetzung meines Blog-Themas: Mali zwischen Spaltung und Krieg)

Frankreich hat in Mali mit militärischem Angriff einseitig Fakten geschaffen. Die ehemalige Kolonialmacht hat damit Erfahrung. Sie verfuhr in Tschad Anfang 2008 nach dem gleichen Muster. Bei dem folgenden „EU-Einsatz“, stellten die Franzosen den Kommandeur vor Ort und entsandten rund 2100 Soldaten. Polen und Irland assistierten damals mit jeweils 400. Deutschland unterstützte den Einsatz mit Offizieren im Brüsseler Stab und 20 Millionen Euro. Aus Deutschland ist jetzt zu hören, dass in der malischen Wüste auch „europäische Interessen verteidigt“ werden, dass „wegducken falsch“ sei, dass man „Frankreich nicht im Stich lassen“ dürfe. Mali sei „ein altes französisches Interessengebiet“. Die EU betont, die islamistischen Kämpfer aus dem Norden könnten Mali zu einem Gottesstaat und damit zu einem Stützpunkt neuen Terrors machen, von dem aus Europa bedroht werde. Reichen diese Parolen für einen Krieg, oder geht es Frankreich und dem Westen um spezifische Interessen?

Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS bereitet unterdessen die Entsendung einer rund 3300 Mann starken Kampftruppe nach Mali vor. Unter anderem haben Niger, Burkina Faso, Senegal, Togo, Nigeria und Benin die Entsendung von jeweils mehreren hundert Soldaten angekündigt. Der UNO Sicherheitsrat hatte den ECOWAS Militäreinsatz am 20. Dezember einstimmig gebilligt.

Algerien, das der „arabischen Frühling“ noch nicht erreicht hat, strebt seit Jahren eine Führungsposition im nordwestafrikanischen Raum an und lehnt daher ausländische Einmischung seitens der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich oder der NATO ab, wie 2011 in Libyen. Der Westen war auch diesmal nicht der treibende Partner bei Friedensverhandlungen, die vor allem von Algerien und Burkina Faso ausgingen.

Ansar al-Dine ist die malisch dominierte Rebellenbewegung, die mit der algerisch dominierten AQMI und der mauretanisch geprägten Mujao (Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika) gemeinsame Sache machte, oder sich durch militärische Drohungen dazu gezwungen sah, hat sich von Letzteren getrennt.

Anfangs war der Norden faktisch dreigeteilt: Ansar al-Dine kontrollierte Kidal, die Mujao die Stadt Gao und der Al-Qaida-Ableger AQMI Timbuktu.  Die säkulare Tuareg-Bewegung MNLA und die malischen Islamisten von Ansar al-Dine um Iyad Ag Ghali saßen bereits am Verhandlungstisch. Nur die dem Al-Qaida-Netzwerk zugerechneten AQMI und Mujao mit algerischer respektive mauretanischer Prägung waren nie an Verhandlungen interessiert. Es sind „Terroristen“, weil sie keine Hemmungen haben, auch Zivilisten zu opfern. Ob diese Klassifizierung auch für die Ansar al-Dine, die sich aus den Verhandlungen zurückgezogen hat, zutrifft, ist nicht bewiesen. Das 2003 in Aussicht gestellte Entwicklungsvorhaben, den Tuareg in ihrem traditionellen Lebensraum neue Perspektiven zu eröffnen, wurde nicht realisiert.

Vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen den islamistischen Bewegungen und den säkular ausgerichteten Separatisten im heutigen Mali gewinnt der historische Roman „Die Mauern aus Lehm“ (2012 neu aufgelegt) auf tragische Weise an Aktualität. Es ist, als wiederhole sich die Geschichte des Reiches der Bambara.

Nach den Luftangriffen Frankreichs haben sich die Rebellen auch aus den Städten weitgehend zurückgezogen, um mit ihrem „Heiligen Krieg“ zu antworten. Nach der Intervention Frankreichs werden die Rebellen die Angreifer als Ungläubige deklarieren, sich in die Wüste zurückziehen und einen Guerillakrieg beginnen, meint der Tuareg-Experte Georg Klute. Für den Ethnologie Professor der Universität Bayreuth ist das Eingreifen Frankreichs eine Art „Neokolonialismus“. Unstrittig ist, dass die malische Regierung unfähig war, die Probleme im Norden selbst zu lösen und hat Frankreich um Hilfe gebeten. Legitimiert das zum Eingreifen? In diesem Zusammenhang kann ich mich an das Hilfeersuchen der Tschechoslowakei 1968 erinnern Das Geschrei war groß, als die Sowjetunion dem nachkam und in das Geschehen um den Prager Frühling militärisch eingriff.

Die Büchse der Pandora in Mali wurde doch erst durch den Krieg in Libyen geöffnet. Von dort kommen die vertriebenen Tuaregs samt umfangreichem Waffenarsenal. Das Ergebnis: Nach Angaben des UN Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) sind bisher etwa 150 000 Menschen in benachbarte Länder geflohen. Mit dem militärischem eingreifen wird sich diese Situation wesentlich verschlimmern.

Frankreich verfolgt in Mali klare Eigeninteressen: Zum einen wolle die „Grande Nation“ ihre Stellung in der Region ausbauen und zum anderen gibt es konkrete materielle Interessen: die Sicherung der Wirtschaftsinteressen der AREVA-Gruppe, des französischen Industriekonzerns, der seit 40 Jahren in Mali und im benachbarten Niger Uran für den europäischen Atomstrom abbaut. Die militärische Intervention ist nur dann juristisch und moralisch legitim, wenn sie keine imperialistischen Fernziele hat, wenn sie zeitbeschränkt ist und die Souveränität Malis wieder herstellt.

Mali gehört wie Niger zu den ärmsten Ländern der Welt, obwohl sie mit die größten Uranvorkommen der Welt haben. Der Schweizer Soziologe Jean Ziegler schreibt in seinem Buch „Wir lassen sie verhungern – Die Massenvernichtung in der Dritten Welt“: Die Beziehung Frankreichs zur Regierung in Bamako ist eine neokoloniale Ausbeutungsbeziehung. Erst wenn es einen absoluten Bruch mit der neokolonialen Erbschaft gibt und z.B. der französische Konzern AREVA einen vernünftigen Preis für das dort abgebaute Uran zahlt, gibt es in Mali keinen Hunger mehr. Dass Länder wie Mali ihre reichen Bodenschätze nicht selbst veredeln können, ist auch eine Folge der Kolonialisierung.

62 Prozent der malischen Bevölkerung sind schwer unterernährt. Seit der Kolonisierung erleidet Mali Hunger, obwohl es als großes Bauernland eine lange landwirtschaftliche Tradition hat. Dennoch muss Mali 71 Prozent seiner Nahrungsmittel importieren, weil die Regierung wegen der Auslandsverschuldung keine Investitionen in die Landwirtschaft tätigen kann. Seit infolge der Börsenspekulation die Preise für Grundnahrungsmittel explodiert sind, und Rohstoffbörsen astronomische Profite z.B. mit Getreide machen, können Länder wie Mali nicht mehr genug Nahrungsmittel importieren. Daraus entstand die politische Instabilität, die der Westen in keiner Weise militärisch lösen kann. „Das schärfste Schwert gegen Extremismus ist die Entwicklungspolitik“, das sind starke Worte aus dem Munde des deutschen Entwicklungsministers zur Krise in Mali. Allein es fehlt die Bereitschaft des Nordens für eine wirklich andere Welthandelspolitik. Das würde ja bedeuten eigene Vorteile aufzugeben, wie z.B. Dumpingexporte von Nahrungsmitteln oder das Leerfischen afrikanischer Küsten. So bleibt die Massenarmut als Nährboden für Terrorismus erhalten und Niebels schöner Satz nur graue Theorie.

Selbst wenn Frankreich im Norden den Status quo wieder herstellen sollte, wird doch nur der Zustand hergestellt, der erst zur malischen Krise geführt hat. Eine Konzeption, wie weiter nach dem Krieg, hat Frankreich nicht. Und der malischen Regierung fehlt jede Legitimität im eigenen Land. Sie wurde in den letzten Monaten mehrmals putschartig ausgetauscht, ist schwach und von der Armee abhängig. Sie hat den Ausnahmezustand ausgerufen und Meinungs- und Versammlungsfreiheit abgeschafft.

Die ECOWAS hat mit ihrer Militäroperation das Ziel, bis Mitte des Jahres 2013 Voraussetzungen für Wahlen zu einer demokratisch legitimierten Regierung zu schaffen. Demokratie durch Krieg schaffen? Das war bisher noch nie so richtig erfolgreich. Die ECOWAS will den malischen Norden von den Rebellen befreien, die säkularen Tuaregs wollten alle Menschen im Norden, unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit befreien.  Wer hat wen eigentlich zur Befreiung legitimiert?

Die afrikanischen Staaten stehen anders als im Fall Libyen geschlossen hinter Frankreich, weil der französische Präsident sie diesmal, wie noch nie zuvor, von seiner Operation vorher informiert hat. Sie sehen darin eine andere Gangart Frankreichs. Der gut gemeinte Ansatz: „Afrikanische Lösungen für Afrikanische Probleme“ ist in Mali jedoch gescheitert, weil Afrika allein zu schwach ist. Auch fehlt es an durchsetzungsfähigen Institutionen, die innerafrikanische Lösungen umsetzen könnten.

Wie sehen es die Franzosen, die nicht vorher gefragt wurden? Umfragen zufolge stehen bis zu drei Viertel der Franzosen hinter der Entscheidung ihres Präsidenten. Auch der Sprecher der Linksfront, Asensi, meint, man könne   das Volk nicht der Barbarei von Fanatikern überlassen. Der mittelalterliche und mit den Terroristen von Al Qaida verbündete islamistische Fundamentalismus sei eine „neue Form des Faschismus“ und instrumentalisiere den Islam. Aber die Linksfront hat auch Vorbehalte hinsichtlich der militärischen Operation, ihrer Form, ihrer Bedingungen und ihrer Ziele. Die Intervention bringe Mali weder Stabilität noch die Demokratie. Der Krieg sei immer die schlechteste aller Lösungen und die unsicherste. Sie kann auch eine Kaskade von Explosionen in der ganzen muslimischen Welt auslösen, wie sich schon in Algerien andeutet. Auch die französische Friedensbewegung  weist die Argumentation zurück, dass diese Aktion unausweichlich war.

Auch In Mali rührt sich Widerstand gegen ein Eingreifen von außen. Die Vereinigung der malischen Abgeschobenen (AME) plant seit Monaten einen Friedensmarsch der Zivilgesellschaft, und ruft jetzt zum „Marche Blanche“ auf. Sie weist alle Formen der Einflussnahme, insbesondere militärische Interventionen zurück und ruft die internationale Gemeinschaft dazu auf, sich aus den geostrategischen Kalkulationen herauszuhalten und sich für eine politische Lösung der Tuareg- Problematik einzusetzen. Der Marsch fordert die Integrität des Territoriums und Unterstützung für die malische Armee, um die Bevölkerung vor den Dschihadisten zu schützen.

Nord-Mali ist ein aktuelles Beispiel dafür, dass Unterentwicklung den Staatszerfall befördert. Die zentralen entwicklungshemmenden Faktoren kommen nach wie vor von außen. Für internes Politikversagen gibt es Beispiele mehr als genug, aber sie verschärfen das Problem lediglich. Eigentliche Ursachen bleibt die seit Kolonialzeiten kaum veränderte Rolle Afrikas als Rohstofflieferant in der Welthandelsordnung, oder der noch vor der Unabhängigkeit liegende Ursprung der Auslandsverschuldung. Wenn der Norden an diesen Strukturen nichts ändert, bleibt Afrika auf der Verliererseite der Globalisierung.

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