Konserviertes Nazirecht und Stasikeule
Konserviertes Nazirecht und Stasikeule

Konserviertes Nazirecht und Stasikeule

Die Bundesrepublik macht einen großen Unterschied beim Umgang mit ihrer faschistischen Vergangenheit und dem Unrecht in der DDR. Ihre eigene Geschichte hat sie bis heute nicht aufgearbeitet. Umso konsequenter ist sie bei der Verurteilung der DDR. Entnazifizierung wurde in der DDR im Gegensatz zur BRD konsequent betrieben. Die antifaschistische Politik wurde von der bundesdeutschen Elite stattdessen immer als „verordneter“ Antifaschismus verunglimpft.
Jahrzehntelang wurde in der Bundesrepublik Schuld und Verantwortung im sog. „Nationalsozialismus“ ignoriert. Neuerdings überbieten sich Ministerien, Landtage und selbst Institutionen wie der BND geradezu mit Forschungen, die der eigenen Geschichte in der Nazizeit nachgehen. Die DDR hatte in ihrem Braunbuch schon Ende der 50er Jahre die Übernahme von hochrangigen Nazis in den Justizdienst der westdeutschen Behörden nachgewiesen. Tatsächlich lag die Gesamtzahl der „belasteten“ Richter noch weitaus höher, wie jetzt eine Studie z.B. in der nordrhein-westfälischen Sozialgerichtsbarkeit belegt. Auch der erste Präsident des Landessozialgerichts, Erich Roehrbein, wies eine belastete Vergangenheit auf. Als „belastet“ galten Richter, die „an NS-Unrecht in Justiz, Staat und Parteiorganisationen mitgewirkt haben, insbesondere an Handlungen, die Völkermord, Verfolgung politischer Gegner, Freiheitsentzug und schwere Repressionen gegen die ausländische Zivilbevölkerung umfassten“.
Der faschistische Verbrecherstaat hat politischen Gegnern, insbesondere Kommunisten, sowie emigrierten oder deportierten Juden die Renten gestrichen. Ganze Gruppen von Verfolgten wurden aus der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. In der Bundesrepublik wurde keinem Nazi die Rente gestrichen oder gekürzt. Dabei unterscheidet die BRD zwischen Nazis und Nazi-Verbrecher. Bei der Bewertung von DDR-Unrecht werden dagegen aus politischen Gründen ohne Unterschied ganze Gruppen einer Sippenhaft unterzogen, unabhängig von Schuld und mit Strafrente belegt. Selbst Mitglieder der ehemaligen Waffen-SS haben Anspruch auf eine ungekürzte Rente. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Viele der Nazi-Verbrecher gingen straffrei aus. Sie oder deren Angehörige beziehen sogar Kriegsopferrente! Nach dem Krieg wurden so Milliarden aus Steuermitteln an Naziverbrecher gezahlt. Die Tradition des Rechtsstaates der BRD steht für Kontinuität der faschistischen Gesinnung im bundesdeutschen Rechtssystem. Die spannende und unbeantwortete Frage ist, inwieweit diese Gesinnung noch heute Auswirkung auf die Rechtsprechung hat.
Lettischen Angehörigen der Waffen-SS hat das BSG grundsätzlich Anspruch auf eine Kriegsopferrente zugebilligt. Deserteuren dagegen wurden Ansprüche lange verwehrt, weil sie als „Wehrkraftzersetzer“ diffamiert wurden. Der 1956 mit dem KPD-Verbot erfolgte Ausschluss von Kommunisten aus dem Bundesentschädigungsgesetz ist bis heute nicht aufgehoben.
Selbst die Witwe von Reinhard Heydrich, dem Planer des Holocaust, erhielt Opferrente in der BRD. Die Witwe von Roland Freisler, dem Präsidenten vom NS-Volksgerichtshof hatte neben ihrer Witwenpension nach dem Bundesversorgungsgesetz auch noch eine ordentliche Zusatzversorgung als „Schadensausgleichsrente“ bezogen. Der Nazirichter Freisler hatte zeitweise zehn Todesurteile pro Tag verhängt. Oder Dr. Willi Geiger, der als Sonderrichter zur NS- Zeit Todesurteile verhängte, wurde Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. In seiner Dissertation schrieb er 1940, dass Juden oder Marxisten „Schädlinge an Staat und Volk“ seien, die zu vernichten sind. 35 Jahre später unterzeichnete er mit dem so erworbenen „Dr.“-Titel das von ihm formulierte Verfassungsgerichtsurteil zum Berufsverbot für Kommunisten und andere politisch Verfolgte. Ihnen wurde unterstellt, dass sie „als verfassungsfeindliche Kräfte im öffentlichen Dienst“ nicht für „freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ stehen. Der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hermann Höpker-Aschoff, war als Chefjurist unmittelbar in die faschistische Vernichtungs- und Vertreibungspolitik einbezogen und wurde übrigens von seinem Freund, dem Bundespräsidenten Theodor Heuss, der 1933 die Hand für Hitler hob, nach Nazi-„Stallgeruch“ für die Stelle in Karlsruhe empfohlen. Als das BSG 1954 gegründet wurde, stand ihm mit Joseph Schneider als Präsident ein Richter vor, der während der Nazizeit hohe Ämter bekleidete.
Im Gegensatz dazu die konsequente Haltung der BRD-Siegerjustiz gegenüber Unrecht in der DDR. Mal abgesehen davon, dass die Gleichsetzung der DDR über den Begriff Unrechtsstaat den faschistischen Völkermord auf unerträglich und unzulässige Weise verharmlost, wurde ungeachtet dessen allen sog. „Staatstragenden“ der DDR pauschal die Rente unter Sozialhilfeniveau gekürzt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich erst dieser Tage geweigert, eine Verfassungsbeschwerde von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Sachen Rente auch nur entgegenzunehmen. Die Mitarbeiter beanspruchen Anwartschaften aus dem Sonderversorgungssystem des MfS, die ihnen eine eigenständige Alterssicherung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung in der DDR gewährleisten sollte. Die in das Sonderversorgungssystem eingezahlten Beiträge, die dem eines bundesdeutscher Beamten ähneln, wurden erbarmungslos gekürzt und enteignet. Von der Rentenkürzung sind pauschal alle „Staatsnahen“ und „Stasi“-Mitarbeiter betroffen. Dieser Missbrauch des Sozialrechts als Strafrecht wurde in der deutschen Geschichte bis dahin nur von den Nazis praktiziert. Auch das nach der Vereinigung beschlossene Entschädigungsrentengesetz, das die Zahlung von Pensionen für Nazi-Verfolgte der DDR regelt, hat SED-Funktionäre ausgeschlossen. Unter den gegenwärtig bestehenden Machtverhältnissen stehen Rechtsfragen, wie rentenrechtliche Entscheidungen, hinter politischen Machtfragen. Sozialrichter in der BRD haben wie im vereinten Deutschland ein Mandat der sog. „großen Volksparteien“ und folgen deren politischen Intensionen.
Auch Dieter Skiba war „Stasi“- Mitarbeiter und einer der Nazijäger in der DDR. Er brachte jetzt das Buch heraus: „Im Namen des Volkes. Ermittlungs- und Gerichtsverfahren in der DDR gegen Nazi- und Kriegsverbrecher“. Da Spionage, Sabotage, Brandstiftungen, Waffendelikte und andere subversive Handlungen im kalten Krieg gegen die DDR vielfach von ehemaligen Nazis begangen wurden, war das MfS frühzeitig auch mit der Verfolgung von Naziverbrechen betraut. Dafür hat Skiba nicht das Bundesverdienstkreuz wie Beate Klarsfeld erwartet, aber auch keine „Strafrente“. Die erhält er, obwohl oder gerade weil er Mitarbeiter der Hauptabteilung IX/11 des Ministeriums für Staatssicherheit war, die sich allein mit der Aufklärung und Ahndung faschistischer Untaten befasste. Stasikeule bedeutet aber aus der Sicht der BRD-Eliten, dass schon der mit Schuld verstrickt ist, wer nur „staatsnah“ ober „Stasi“-Mitarbeiter war. Dieser verordnete Automatismus ist aber keineswegs rechtsstaatlich, wie z.B. im Fall Holm oder bei Skiba.
Wenn man die öffentlich zelebrierte Hysterie um Andrej Holm vergleicht, der als Staatssekretär für die Linke in Berlin antreten sollte, wird schnell klar, dass die Tendenz zur Relativierung der Naziverbrechen einerseits, und Liquidierung von Linken mit der Stasikeule andererseits, bis heute anhält. Weil Holm seine Vergangenheit verschwiegen haben soll, wurde er vom Senat, als auch von seinem Arbeitgeber, der Humboldtuniversität, geschasst. Auch hier lohnt ein Vergleich im Umgang der BRD mit Naziverbrechern und Stasi-Belasteten. Z.B. ein Herr Wilhelm Krelle wurde von der Humboldt-Uni 1991 als Gründungsdekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät eingesetzt. Mit den Worten „über die Schwelle dieses Hauses … kommt mir kein Marxist“, hatte er als Westimport politisch ungewollte Wissenschaftler aus dem Osten entlassen. In seinem Lebenslauf hatte er geflissentlich verschwiegen, dass er als SS-Sturmbannführer bis in die letzten Kriegstage fanatische Durchhaltebefehle anwies. Von der Humboldt-Uni wurde der Herr Professor wahrscheinlich nicht mit einem Formblatt belästigt und konnte so auch kein Kreuz an der falschen Stelle machen. Stattdessen wurde ihm 1987 das Bundesverdienstkreuz überreicht und 1994 wurde er u.a. von der Humboldt-Uni zum Ehrendoktor ernannt. Als seine Vergangenheit herauskam beschwerte er sich, dass man sein Leben zerstören wolle und dass doch über die Nazizeit alles gesagt sei. Dass er Mitglied der Waffen-SS war, stritt er ab. Verglichen mit dem Umgang mit Holm ist das ist ein Skandal. Nazi-Verbrecher dürfen Generationen von Studenten prägen und erhalten dafür höchste Auszeichnungen, während Stasi-Belastete auch ohne Schuld stigmatisiert und abserviert werden. So kann die Frage nach Schuld und Verstrickung nicht beantwortet werden.
Das Messen mit zweierlei Maß in der Politik ist „normal“ in dieser Republik. Nicht erst das Trump-Team ist Meister im Umgang mit „alternativen Fakten“. Zwischen der faschistischen Vergangenheit Deutschlands und dem rechten Terror der Neonazis besteht ein direkter Zusammenhang. Die sog. „Nationalsozialisten“ erhoben  Rechtsterrorismus zur staatlichen Politik. In der Bundesrepublik existiert rechter Terror seit ihrer Gründung (Bund Deutscher- und Heimattreuer Jugend, Münchner Oktoberfest 1980, NSU usw.). Es gehört auch zum Thema der „alternativen Fakten“, wenn uns im bundesdeutschen Mainstream weiß gemacht werden soll, dass der Terror der Neonazis aus Ostdeutschland kommt.
Weitere Beiträge zu diesem Thema hier im Blog:
– „Stasikeule statt politische Auseinandersetzung“

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