Nach dem Brexit ist vor dem Brexit
Nach dem Brexit ist vor dem Brexit

Nach dem Brexit ist vor dem Brexit

Ist die Europäische Union am Ende?

Die EU ist ein Binnenmarkt ohne regulierenden Staat, eine Währungsunion ohne gemeinsame Fiskal- und Sozialpolitik, es herrscht Ungleichheit bei Wahlrecht und Steuern. Populisten predigen den Rückzug ins Nationale. Nationale Interessen dienen den wirtschaftlichen Eliten und nicht den Bürgern. Die Ursprünge der europäischen Integration waren geprägt von der Idee, die Nationalstaaten zu überwinden. Momentan ist diese Idee in der Krise und es gibt Bestrebungen zur Rückkehr in die nationalistische Vergangenheit. Eine Alternative für eine progressive Zukunftsvision für Europa könnte eine Europäische Republik sein. Die Republik ist weder ethnisch noch national, sondern ein gemeinsamer Rechtsrahmen, der kein „Volk“ und keine „Nation“ braucht, sondern Bürger.
Die Krise in Griechenland, wie auch die mit den Flüchtlingen zeigt, dass die EU nicht fähig ist, als solidarische Gemeinschaft zu funktionieren. In Spanien gibt es starke separatistische Bewegungen. Der Rechtspopulismus hat in Europa Hochkonjunktur. Das Referendum in Großbritannien ist zwar eine demokratische Mehrheitsentscheidung, der Austritt zeigt aber, dass sich dieser Prozess beschleunigt. Die europäische Integration ist in ihren Grundfesten erschüttert.
In Großbritannien trifft Nordirland ein Brexit wirtschaftlich am Härtesten, denn etwa 35 % der nordirischen Exporte gehen an den südlichen Nachbarn. Die Vorteile offener Grenzen und Freizügigkeit spürt man entlang der inneririschen Grenze deutlich. Ein Brexit kann zur Wiedereinführung von Grenz- und Zollkontrollen an der Grenze zur Republik Irland führen und der Friedensprozess in Nordirland ist gefährdet.
Sinn Féin ist die zweitstärkste Partei Nordirlands und eine linke Partei in der Republik Irland wie auch in Nordirland. Jetzt der politische Arm der aufgelösten, einst militanten IRA. Sie ist wie Syriza in Griechenland gegen Austerität, für eine faire Erholung der Wirtschaft, für eine nationale Vereinigung sowie für die Unabhängigkeit Irlands. Sie glaubt an ein demokratisches, an ein soziales Europa und eines, das sich für internationalen Frieden einsetzt. Das ist nicht das Europa, das existiert. Sinn Féin bezog Stellung gegen den Brexit, noch vor dem britischen Premier David Cameron. Sie geht davon aus, dass es besser ist, innerhalb der EU für diese Vision zu kämpfen, als dies von außerhalb zu tun. Im Lichte der andauernden Wirtschaftsprobleme im Süden wie im Norden ist Sinn Féin die Vereinigung Irlands Voraussetzung für einen sozialen Wandel hin zu einer modernen sozialistischen Gesellschaft auf der irischen Insel. Der EU-Austritt würde die Teilung zwischen Norden und Süden verstärken. Während Schottland, Nordirland oder Wales für einen Verbleib in der EU ist, kann die große Zahl der Wähler in Südwestengland und London dafür sorgen, dass es knapp zu einem Brexit kommt. Das ist eine Folge der ideologischen Spannungen und Auseinandersetzungen innerhalb der britischen Konservativen und des englischen Nationalismus. Ein Brexit würde die gesamte politische Landschaft in Großbritannien verändern. Die Scottish National Party würde in Nordirland ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum anstrengen und Sinn Féin würde sich für eine „Border Poll“ einsetzen, also ein Referendum, wie es in Nordirland 1973 schon einmal abgehalten wurde: zur Loslösung von Großbritannien und zur Vereinigung mit der Republik Irland. Sinn Féin ist proeuropäisch im Sinne von „Die Stärke liegt in der Einheit“ und in internationaler Solidarität.
Schottland ist der europafreundlichte Teil des Königreiches, nur etwa 30% der Schotten wollen raus aus der EU. Sollten sie von den Engländern aus der EU gedrängt werden, würden sie, genauso wie Nordirland, wieder über die Hintertür in die EU kommen wollen. Nach einem Brexit wäre ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum Schottland´s wahrscheinlich. Ob sich Schottland nach einem Referendum vom Königreich abschottet, ist allerdings nicht sicher. Denn die schottische Unterstützung für die EU-Mitgliedschaft ist weniger auf eine Europafreundlichkeit zurückzuführen, als auf wirtschaftliche Interessen. Die Ölindustrie in der Nordsee ist zwar ein wichtiger Wirtschaftssektor für Schottland, aber mit dem Fall der Ölpreise ist das Interesse an Unabhängigkeit gesunken. Ein Referendum wäre also stark abhängig davon, ob sich die Schotten wirtschaftlich sicherer in Kontinentaleuropa fühlen, oder ob sie meinen, als unabhängiger Staat besser zu fahren.
Großbritannien hatte schon von Anfang an wenig Rücksicht auf die Europäische Union genommen. Sie sind ausgeschert mit ihrem Falkland-Krieg oder als Anhängsel der US-Amerikaner im Nahostkrieg, Ihre Erpressung für britische Vorteile im Rahmen des drohenden Brexit war kontraproduktiv dem europäischen Gedanken insgesamt gegenüber. Die britische Politik war dagegen wenn es um die Durchsetzung sozialer Standards, oder die Umsetzung von Regulierungen an den Finanzmärkten ging usw.. Jetzt ist das Land politisch gespalten, weil der britische Neoliberalismus eine breite gesellschaftliche Schicht der Verlierer hat entstehen lassen, die in Ausländern und der EU die Verursacher sieht. Großbritannien ist nach Deutschland und Frankreich das wirtschaftlich drittgrößte Land in der Union. Dennoch wäre der Austritt ökonomisch für die EU verkraftbar.
Die Briten haben sich mehrheitlich entschieden aus der Europäischen Union auszutreten. Letztendlich hat die ökonomische Vernunft nicht gesiegt. Immerhin verlieren sie einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt, der Exporte und Importe ohne Handelsbarrieren möglich macht. Zu erwarten ist, dass das wirtschaftliche, auf die Finanzindustrie fokussierte, Wachstum zurückgehen und das britische Pfund auch langfristig an Wert und die Londoner City als weltweites Finanzzentrum an Bedeutung verlieren wird. Daher warnte der Finanzsektor auch vor einem Austritt. Die wirtschaftliche Entlastung ist nicht so hoch, wie das Brexit-Befürworter immer behauptet haben, denn pro Kopf hat Großbritannien weniger in die EU eingezahlt, als z.B. die Niederlande oder Deutschland.
In London wurde die lange Zeit im Vorlauf des Entscheids genutzt, um sich akribisch vorzubereiten. Es wurden Experten und führende Wissenschaftler beauftragt und gemeinsam einen Fahrplan für den Brexit ausgetüftelt, der jetzt minutiös umgesetzt wird. Er besagt: Kommt Zeit, kommt Rat. Premierminister David Cameron wird bis Oktober irgendwie weiterwurschteln, danach wird man sehen. Cameron ist ein wenig wie Gorbatschow, der wusste auch nicht, wohin die Fahrt geht. Schon einmal hat Großbritannien ohne Konzept und ohne UN-Mandat einen Krieg mit einer dicken Lüge über Massenvernichtungswaffen, die Saddam Husseins haben soll, legitimiert und damit die Welt für die Nachkriegszeit destabilisiert.
Lange war nicht klar, ob Großbritannien wirklich aus der EU austritt. Denn sie wussten nicht, was sie tun (vor allem die Rechten). Jetzt wissen sie nicht, wie sie aus der Nummer am besten wieder raus kommen (die Regierenden). Einerseits können die Regierenden den Wählerwillen nicht so einfach ignorieren, andererseits waren und sind sie aber auch nicht daran gebunden. Ohne Rückhalt in Europa verliert Großbritannien an Wert für die USA, wie auch ür die ehemaligen Kolonien in Asien, wie Indien. Afrikanische Länder fürchten Einbußen bei der Entwicklungshilfe.

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