Patagonien, Feuerland
Patagonien, Feuerland

Patagonien, Feuerland

Auf direktem Weg von Buenos Aires geht es wieder ans Meer. Über 3.000 km an der Atlantikküste entlang  durch Patagonien, ans Ende der Welt, durch endlose Steppe, Graslandschaften und Wüste. In dem Badeort nach Mar del Plata, in dem es zu wenige Gaststätten gibt, ist es noch heiß. Ein Tscheche mit seinem vierradangetriebenen Jeep, der mit auf dem Campingplatz steht, fährt direkt an den Strand, was mit dem Toyota nun gar nicht geht. Wer laufen muss, verbrennt sich die Fußsohlen in dem herrlichen Sand am Strand, hinter den Dünen. In Bahia Blanka findet sich nach langer Fahrt wieder einmal kein Campingplatz. In irgendwelchen Plänen eingezeichnete Plätze sind geschlossen, existieren nicht mehr oder sind sonst was. Aber an einer YPF-Tankstelle mit Motel kann man ruhig stehen und hat Restaurantanschluss. Trotzdem kein Ort zum Verweilen. Also geht es auf kurzem Weg weiter nach El Condor, auf einen Campingplatz gleich hinter der Straße am Meer. Auf dem Weg nach Las Grutas, auch ein kleiner Badeort, liegt in San Antonio Oeste ein Hafen ohne Wasser. Die noch intakten Schiffe liegen auf dem Trocknen. So sieht es aus, wenn man kommt und gerade Ebbe ist. Nur hier in der Hitze gibt es keinen Schlick wie an der Nordsee, sondern nur ausgetrockneter Sand und Salz. Auf der Halbinsel Valdez findet sich ein Campingplatz in Puerto Piramides. Um im Reservat Elefantenrobben und Pinguine zu beobachten, muss man sich über zig km staubige Schotterstrecken heranrobben. Auch Armadillos laufen dort rum, die wie kleine Stachelschweine aussehen. Um südlichen Glattwale zu sehen, muss man aufs Meer rausfahren und Glück haben. Ein erhebendes Erlebnis, deren riesen Schwanzflosse direkt unterm Schlauchboot zu sehen. Leider habe ich den „Farbfilm vergessen“. D.h. nicht vergessen, sondern nicht dabei, weil ich eigentlich nur baden wollte und zufällig dort ein Boot ablegte. Das letzte in dieser Saison, denn Glattwale sind hier zur Fortpflanzung nur von März bis Dezember und ziehen dann zur Nahrungssuche weiter südlich. So wie ich. Bis Playa Union ist es nur ein Katzensprung. D.h. der Begriff ist relativ. Für Alex ist es eine Tagestour …. mit dem Fahrrad. Er fährt die gleiche Strecke durch Südamerika. Wegen der endlosen, schnurgeraden Straßen durch die Steppe steigt er um und fährt mit im Toyota. Auf dem Träger passen 2 Fahrräder. Da wieder mal keine offene Kneipe zu finden ist, stoßen wir am Weihnachtsabend auf dem Campingplatz mit Bier an. Plötzlich Mitternacht fängt es an zu ballern. Die Argentinier feiern in Weihnachten hinein, d.h. Weihnachten beginnt erst Mitternacht, und sicher gibt es jetzt im Ort in einigen Imbissständen auch Bier, was dort sonst nicht verkauft werden darf. Unterwegs sind neben der Straße viele Guanakos und einige Emus zu sehen. Man soll achtgeben auf Wildwechsel. In Fitz Roy, ein kleiner Ort, nach dem großen Berg benannt, wird es windig und kalt. Auf dem Campingplatz in Commandante Luis Piedrabuena kann man im Fluss baden. Abends kommen Bekannte von Alex dazu. Ein junges Pärchen aus Argentinien, die mit dem Auto unterwegs sind. Gemeinsam geht es weiter zu einem Campingplatz kurz vor Rio Gallegos. Unterwegs wandern wir zu einer Pinguinkolonie am Ponte Leon und am nächsten Tag, kurz vor der Grenze, zur Laguna Azul, einem See im Vulkankrater. Der Grenzübergang nach Chile ist problemlos. Ein Stempel im Pass und ein Schein fürs Auto, der beim Verlassen des Landes wieder abzugeben ist.

Feuerland

Kurz und entspannt ist die Überfahrt mit der Fähre nach Feuerland. Weniger entspannt ist der Grenzübergang von Chile zurück nach Argentinien. Beide Grenzstationen liegen einige km auseinander. Dazwischen Waschbrett-Schotter-Piste. Und eine fast fertige Baustellenpiste mit Asphalt, die ich verbotener Weise nutze, worüber sich die beiden Argentinier totlachen. Die Annahme, dass die Abfertigung auf der argentinischen Seite erfolgt, war falsch. Wir müssen zurück um den chilenischen Stempel zu holen. Zu allem Überfluss finden sich anschließend wieder mal nicht die Campingplätze an der erwarteten Stelle. Es wird spät und wir finden zufällig einen free Campingplatz (d.h. einen wilden, ohne Wasser und ohne WC) an der Strecke. Auf der gesamten Fahrt ist an beiden Seiten der Straße ein Zaun gezogen. D.h. man kann sonst nicht so einfach an der Strecke halten und campen. Zufällig sehen uns die beiden Argentinier im nachfolgenden Auto auf dem free camp. Alex zaubert noch am Gaskocher eine Suppe für alle. Am nächsten Morgen steigt Alex wieder aufs Fahrrad um und fährt den „Rest“ bis nach Ushuaia.

In Ushuaia gibt es für mich einiges zu regeln. Ein Päckchen mit der verlustig gegangenen, neuen Visa-Karte sollte nach 3 Wochen hier sein, ist es aber nicht. Also warten. Und dass bei inzwischen ziemlich strenger Kälte, etwa wie in Deutschland. Da macht Camping nur noch für hartgesottene Spaß. Ich ziehe ins Hotel und verschlafe dort Sylvester. Dann nehme ich mir Zeit, um ein Gutachten fertig zu machen. Dann soll noch Geld über  Western Union beschafft werden, weil argentinische Banken etwa satte 10,-€ Gebühren gleich am Automaten einbehalten. Umgerechnet pro 100,-€ wohlgemerkt, denn mehr gibt es hier nicht am Automaten. Deutsche Banken schlagen dann noch mal ihre Beteiligung am Umsatz drauf. Etwa 15% Gebühren für die Banken. Letztendlich holen sich alle „Finanzinstitute“ die gleiche, überhöhte Rendite bei „Ihren Kunden“, die dann, wenn die Banken mal wieder in Schwierigkeiten sind, auch noch retten müssen. Verrückte Welt. Dazu kommt, dass Western Union nicht an den im Internet angesagten Plätzen zu finden ist und nicht immer über Geld verfügt. Argentinien steckt nach der letzten großen Finanzkrise wieder oder noch in einer schweren wirtschaftlichen und finanziellen Krise, was man sonst im gewöhnlichen Gewimmel auf der Straße nicht sieht. Alles läuft irgendwie weiter. Genial diese sog. „soziale“ Marktwirtschaft. Western Union ist keine Alternative, weil die sich neben den Gebühren noch am Wechselkurs beteiligen. Die DKB-Bank hält, bezogen auf die vorgenannten einheimischen Bankgebühren am Automaten, ihr Versprechen nicht, keine Auslandsgebühren zu erheben. Am besten bezahlt man alles direkt mit Kreditkarte, soweit möglich. Tankstellen z.B. zahlen die Differenz zu einer höheren als der konsumierten Summe als cash-Kredit.

Von Ushuaia geht’s zurück nach Chile. An der Grenze ziehen dunkle Gewitterwolken auf. Da stehen zwei Backpacker, die ich mitnehme, da es auch noch anfängt zu schneien. So werde ich auch mal zum erlösenden Engel, die mir schon oft aus der Patsche geholfen haben.

  

Von Porvenier, das nur über Schotter zu erreichen ist, fährt die Fähre nach Puerto Arenas, aber erst wieder am nächsten Tag. Als ich in der Schlange stehe, um einzuchecken, stehen die aus Sangt Petersburg kommenden Mädchen, die eigentlich zu den Pinguinen wollten, hinter mir. Auf der Fähre lässt uns der Käpten, der ganz angetan ist von seinen russischen Gästen, auf seine Brücke. Macht es der rote Stern an der Mütze der Dienstuniform? Puerto Arenas bietet zwar einen tollen Ausblick, aber wieder mal kein Campingplatz. Also schlafe ich im Bungalow, nachdem es im Hostel für mich gar nicht gastlich war. Abends sperrt die Polizei den Platz vor dem Restaurant ab, in dem ich ein Bier trinke, weil in einer abgestellten Tasche Sprengstoff vermutet wurde. Einerseits besser als Fernsehen, andererseits hätte es auf dem Logenplatz hinter großen Schaufensterscheiben auch sehr ungemütlich werden können, wenn die Vermutung, bzw. die vom gepanzerten Sprengstoffexperten geschüttelte Tasche, explodiert wäre.

 

Puerto Natales ist Ausgangspunkt für den Nationalpark Torres del Paine. Auf dem Weg dorthin (wieder über Schotterpiste) stehen wieder die beiden Backpacker per Anhalter, und wir setzen die Fahrt gemeinsam fort. Faszinierend nicht nur die herrliche Berglandschaft, sondern für mich auch die Begeisterung der jungen Mädchen, die dies auch zeigen können. Ich werde mit Wehmut an meine Jugend erinnert, mit Ausnahme der heute üblichen Art Begeisterung zu artikulieren. Lässt die Begeisterung nach, wenn man (fast) alles gesehen hat? Vielleicht habe ich mir einen Rest erhalten, weil ich ja erst spät angefangen habe, die Sehenswürdigkeiten der Welt zu sehen. Zu guter Letzt erscheint hinter dem Bergmassiv der Torres (Towers). In diese Richtung wollen die Mädchen am nächsten Tag wandern, unsere Wege trennen sich. Ich lasse mich auf einem free Camping im Park nieder, nachdem ich mir noch den Wasserfall angeschaut habe.

Anderntags auf der Weiterfahrt mache ich einen Abstecher und entdecke rein zufällig das Hotel Tierra Patagonia am Lago Tel Torro. An der Straße kein Hinweisschild und von außen nicht zu ahnen, dass hier ein top Luxushotel steht. Ich werde vom Manager empfangen und zum Restaurant mit einer überwältigenden Aussicht geführt. Der bestellte Cappuccino geht aufs Haus, meint der Barkeeper anschließend. Na das nenne ich ja mal nobel. Hier würde ich gerne die Seele baumeln lassen, aber das sprengt wohl mein Travellerbudget. Nach dem Preis frage ich erst gar nicht, das schickt sich hier wohl nicht. Die oberen 10tausend schauen nicht aufs Geld, sie haben es.

 

El Calafate ist der Ausgangspunkt für den Nationalpark Los Glaciares mit dem Gletscher Perito Moreno. Keinem Gletscher kommt man so nah wie diesem, der als Weltnaturerbe unter UNESCO- Schutz steht. Es ist wohl die größte Touristenattraktion in Argentinien. Über Stahlgitterwege erreicht man nach wenigen Kilometern die bis 70 Meter hohe Eiswand. Je näher ich komme, höre ich ein drohendes Donnern. Nein das ist kein aufziehendes Gewitter, es ist das brechende Gletschereis, was sich langsam aber beständig weiterschiebt (pro Tag ca. 1,5 m) und regelmäßig abbricht. Kleinere Abbrüche kann ich beobachten, die einen kreisförmigen Eisring hinterlassen. Ich frage mich, wie es dem relativ kleinen Touri-Boot vor dem Gletscher ergeht, wenn es nach einem größeren Abbruch in den Tsunami kommt. Den letzten größeren Abbruch gab es Mitte März 2018, als eine aus Gletschereis geformte Brücke zum Festland zusammenbrach. Da es nachts geschah, hat dieses Naturereignis kein Tourist beobachten können, das seit 2004 alle 2 bis 4 Jahre auftrat. Als wolle die Wolke auf die Gefahr hinweisen, zeigt sie im Foto mit der Spitze auf die Stelle, an der die Eismassen den Zufluss zum Lago Argen Tino verstopfen. Mit steigendem Wasserdruck bricht das Eis. Anders als viele andere Gletscher verliert der Perito Moreno nicht an Größe. Dass es sich bei einem Abbruch nicht nur um ein natürliches Phänomen handelt, sondern auch um eine Folge des Klimawandels, zeigt sich daran, dass es vor 2004 16 Jahre keinen Abbruch gab.

 

 

 

 

Neben dem Lago Argentino, am Lago Roca liegt dieses, von Cristian in Buenes Aires empfohlene, Camp. In der Woche campt oder zeltet hier kaum ein Mensch, so dass man das Gefühl hat, in freier Natur zu stehen. Einziger Nachteil: Eine Anfahrt über 30 km Waschbrett-Schotter mit dicker Staubwolke. Als Entschädigung kann der Naturliebhaber (mit DU, WC und Restaurantanschluss) hier die Seele baumeln lassen.
So sitze ich nur da und starre in die Ferne. Keiner fragt mich was ich da mache. Oder schlimmer: keiner meint, ich könnte doch was Nützliches tun. Das erinnert mich an DDR-Zeiten, an mein Nischendasein im Garten mit Bungalow und denke über Raum und Zeit nach. „Der Kapitalismus ist laut Marx die Vernichtung des Raums durch die Zeit. Gewinn wird durch Zeitgewinn erzielt. Das war im Sozialismus unbekannt. Du konntest Zeit verschwenden, weil du dir deiner Zukunft sicher warst“. Das meint der Regisseur Goldstein zu seinem in Deutschland gerade angelaufenen Film „Adam und Evelyn“. Er beschreibt die Seelenlage einer Generation, die weder in der DDR noch in der BRD jemals ohne Vorbehalt angekommen ist. In der DDR Nischenbewohner, heute immer noch. Das Ende der DDR mal aus einer anderen Sicht.
Dann gab es aus meiner Sicht noch die, die zwar in der DDR, aber immer noch nicht in der BRD angekommen sind. Deren Seelenlage wird noch immer ausgeblendet.

 

Schon 50 km vorher sieht man die Silhouette des Bergmassivs, aus dem der Fitz Roy herausragt, und an dessen Fuße der kleine Ort El Chalten liegt. In El Chalten scheinen sich die Touristen aus aller Welt zu treffen. Zumeist sind es Backpacker, die schwer an ihrer Last tragen und in Zelten schlafen, Regen und Kälte zum Trotz. Auch zahlreiche Fahrradfahrer und einige Pauschaltouristen. Die vielen Gaststätten sind gut besucht. Auf dem Camp treffe ich die beiden Argentinier wieder, die ich über Alex kennenlernte und die nicht über Chile reisen wollen, warum auch immer.

In der Hoffnung einen besseren Blick zum Fitz Roy zu bekommen, fahre ich wieder über 35 km Schotterpiste zum nächsten Camp. Den 3.406 m hohen Berg bekomme ich dabei nicht näher zusehen, dafür wieder herrliche Natur, weit ab von der Zivilisation, im National Park Los Glaciares. Beim Aufstieg zum Gletscher Huemul sind vom Camp aus 700 Höhenmeter in 2 km „Wanderweg“ zu überwinden. Z.T. so steil, dass Seile gespannt wurden.

 

Dann wieder endlose Straßen durch die flache Steppenlandschaft nach Puerto Moreno. Von Westen ein derartiger Wind in Böhen, dass ich aufpassen muss, nicht vom Asphalt gefegt zu werden. Das Profil des rechten vorderen Reifens wird durch das ständige Gegenlenken einseitig abgefahren. Auf einigen Camps hatte ich Gelegenheit mit deutschen Travellern über ihre gefahrene Strecke zu reden. Daher fällt in Puerto Moreno meine Entscheidung durch Chile zu fahren, die landschaftlich schönere Straße Nr.7 (Carretera Austral) entlang. Also nicht durch Argentinien über Bariloche, „was auch nur ein Touristenort ist“. Auf dem Camp in Chile Chico (mit Restaurant und Banos im Schiff auf Trockendock, www.hosteriadelapatagonia.cl) zeigt mir Mauricio sein DDR-Kennzeichen. Er hat in Umbruchzeiten die Anarchie und den Trabi schätzen gelernt. Genervt von staubigen Schotterpisten (Ripio) nehme ich in Chile Chico die Abkürzung mit der Fähre und fahre nicht um den Carrera Lake herum. Auf der kleinen Fähre wird es eng. In Ferienzeiten ist es besser sich vorher ein Ticket zu kaufen, um nicht ein paar Tage warten zu müssen. Bei Wellengang schwappt das Wasser weit über die Rampe.

 

 

 

 

Auf dem Weg nach Coyhaique verliere ich bei einem Fotostop den Photoapperat, was mir erst beim nächsten Landschaftsmotiv auffällt. Also fahre ich zurück und finde nach etwa 10 km tatsächlich den Apparat im Gras wieder.

 

 

Unterwegs nach Puyuhuapi kann man in Puerto Aysen die Presidente-Ibáñez-Brücke bestaunen, eine einspurige Hängebrücke, die den Fluss Aysén überquert. Dann verlässt mich das Glück. Wie ich auf das Camp in Puyuhuapi einfahre, zerbricht das Kugellager der Antriebswelle, was sich schon lange vorher durch unbekannte Geräusche angekündigt hat. Der einzige Mechaniker ohne Werkstatt im Ort kann das Teil zwar ausbauen, aber nicht für Ersatz sorgen. Diesen Typ von Toyota (ein Mix mit Peugeot und Citroën) kennt in Chile keiner, auch nicht die nächste Toyota-Werkstatt im 250 km entfernten Coyhaique. Also muss das Ersatzteil in Deutschland bestellt werden. Das kostet vor allem Zeit, weniger Geld. Am teuersten ist der Transport mit DHL. UPS wäre 3 x teurer, nicht schneller und nicht zielgenau. Ich muss mich wohl für längere Zeit hier einrichten.

 

 

Puyuhuapi ist ein kleiner Ort am Ende der Welt ohne Post oder Postleitzahl. Ein Ort mit deutschen Wurzeln, der mal Waldhagen hieß. Darüber hat Luisa Ludwig Winkler ein Buch geschrieben. Sie ist hier geboren und hat in Deutschland studiert. Walter Hopperdietzel war einer der Gründer in den 30er Jahren, die sich hier niedergelassen haben. Fritz, sein Neffe, betreibt hier eine Tankstelle, und dessen Schwester Ursula die Hosteria Alemana. Sie alle sprechen gut Deutsch und helfen mir die Reparatur zu organisieren. Zuhause helfen mir rettende Engel das begehrte Ersatzteil zu besorgen und nach Chile zu schicken.
Gelegenheit Land und Leute etwas näher kennenzulernen. Zudem muss ich mich mit den Gegebenheiten auf dem Platz vor dem Campingplatz arrangieren. Der Eigner des Camps wollte nicht, dass ich auf seinem Platz stehe. Hat er Pech gehabt. So verbringe ich die Zeit wenigstens ohne Unterkunftskosten. Andererseits stehe ich zwar in wunderschöner Umgebung, aber auf einem miserablen Parkplatz. Die Zeltler auf dem Camp wechseln jeden Tag, ein ständiges Kommen und Gehen. Meist sind es chilenische Packpacker, Autofahrer oder Radfahrer, die in ihren Zelten schlafen. Gut, dass ich Strom im Fahrzeug habe, denn die 2 Steckdosen sind ständig besetzt, wie die 3 Toiletten für um die 30 Leute. Ich höre den Lärm des fröhlichen Jugendlebens auf dem Camp bis früh um 4 und beobachte die vielen freilaufenden Hunde, die in Südamerika einen gewissen Schutz genießen, wie Kühe in Indien. Hier im Ort sind sie zumindest friedlich. Lästig ist jedoch deren kleffender Lärm. Hinzu kommt, das jedes Auto hundert Türen und seine eigene Musik hat, und jeder Stellplatz seinen Grillplatz mit Holzfeuerung. Lärm wird hier hingenommen. Anders als in Deutschland, wo sich z.B. ein Ehepaar gerade vor dem Münchener OLG wehrt, weil es sich von den Kuhglocken auf der nachbarlichen Weide gestört fühlt.
Auf dem Platz steht ein Notstromdiesel, der aber selten läuft. Allerdings läuft immer irgendein Autodiesel im Stand,  was entweder von Rücksichtslosigkeit oder Unwissenheit zeugt. Vor fast jedem der meist einfachen Holz- und Blechhütten im Ort steht ein Auto, oft mit 4-Radantrieb. Geheizt wird mit Holz. Auch im Sommer, in dem die Temperaturen nachts bis Null und tags bis 36 Grad wochenweise schwanken. Der Ruß und ein Teil der Asche gehen als Feinstaub durch den Schornstein, als Rauch, wie bei Schiffsdiesel. Nur dass die mit Schweröl fahren und eine mehr gelbe, schwefelhaltige Dunstfahne hinterlassen. Fast wie im Geirangerfjord, in Norwegen ein beliebtes Ziel für Kreuzfahrtschiffe und eine Art „geschlossener Kessel mit Wasserzugang“.
Die Müllabfuhr funktioniert, wenn auch nicht immer. Jedoch wird Müll noch nicht getrennt. Luisa versucht im Ort eine Mülltrennung zu initiieren. Das funktioniert nur sporadisch, wobei Flaschen und Dosen wieder aus der Mülltonne gefischt werden. Das erinnert an junge Pioniere in der DDR, die Flaschen und Altpapier gesammelt haben, dafür aber auch Geld bekommen haben. Im alten Deutschland, wo wesentlich mehr Müll produziert wird als z.B. in Chile, gibt es Lebenskünstler, die nur ein Glas voll Müll im Jahr hinterlassen (Zero-Waste-Bewegung)! In Afrika habe ich Dörfer gesehen, in denen Selbstversorger gar keinen Müll hinterlassen. Trotzdem hinterlässt die Weltbevölkerung täglich 3,5 Millionen Tonnen Müll! Die Lösung sollte irgendwo zwischen Null und 3,5 MioT liegen. Die wird es in einer freien Marktwirtschaft aber nicht geben, weil niemand die Industrie daran hindert vermeidbaren Müll zu produzieren, an dem sie fett verdient.

Mein minimalistisches Leben auf einem Parkplatz wird lediglich unterbrochen von Ausflügen mit dem Fahrrad. Z.B. in das kleine Puyuhuapi, oder in das 6 km entfernte Naturthermalbad, wo man gleichzeitig in das kalte Fjordwasser des Pazifiks steigen kann.
Oder zum 25 km entfernten, und ziemlich beeindruckenden Wasserfall Ventisquero Colgante im Queulat National Park, der vom Hanging Glacier gespeist wird und in die Lagune fließt.

Und wie ich so in Patagonien rumstehe, höre ich, dass im 1. Deutschen Fernsehen „Rote Rosen“ läuft. Immer noch mit bekannten Gesichtern, wie den Hotelier Flickenschild oder dem Bürgermeister von Lüneburg. Natürlich auch mit neuen Protagonisten und neuen Lebensläufen in einer neuen Staffel. Diesmal will ein neues Pärchen ausgerechnet nach Patagonien auswandern. Da wollte der Anwalt mit dem Fahrrad schon lange mal hin. Die Endlosschleife läuft schon Jahre, z.B. um 9 zum Frühstück. Man kann die Serie auch mal 1 Jahr nicht sehen, ohne anschließend das Gefühl zu haben, etwas verpasst zu haben. Man sieht bekannte Gesichter und findet schnell wieder Anschluss. Ach wie gemütlich ist es doch zu Hause.
Nach 3 Wochen ist es endlich so weit: Das Ersatzteil ist innerhalb der von der Post versprochenen 13 Tage angekommen. Adressiert an ein Hotel in der nächstliegenden Stadt La Junta, da Puyuhuapi ja keine Poststation hat. Ein Anruf von Fritz genügt und das Paket kann zwischen Coyhaique und La Junta abgefangen werden. Der Bus hat zwar 1 Stunde Verspätung, aber der Busfahrer händigt es Fritz wie verabredet aus. Es ist zwar Sonntag, aber der Mechaniker kommt und baut das Teil, was Gott sei Dank auch passt, wieder ein. Aber er findet die Nachfüllöffnung für das Getriebeöl nicht. Erst eine Zeichnung, nach der 4 Mechaniker in der Berliner Toyotawerkstatt lange im Internet suchen, hilft weiter. Und weiter geht es, nachdem ich mich am Vorabend noch von Luisa und Fritz bei einem Glas Wein und Bier verabschiedet habe.
Auf dem Weg nach Puerto Mont kann man sich in Chaiten entscheiden, die Fähre nach Quellon (Insel Chiloe) zu nehmen oder auf der Carretera Austral (7) zu bleiben. Nach Hornopieren fahren 2 Fährgesellschaften, entweder direkt, oder gesplittet mit 2 Fähren. Ich entscheide mich für die schönere Route auf der noch nicht durchgängig asphaltierten Straße 7, und übernachte im Urwald, unweit eines erst 2008 ausgebrochenen Vulkans, auf einem schmalen Camp am See, auf dem für jeden Autostandplatz eine Hütte am Wasser zugeordnet ist. Einsam, ruhig und romantisch.

 

 

Bis Autocamper, die nachts um 10 anreisen, und rücksichtslos mit einem hunterttürigen Auto die herrliche Ruhe stören und auf dem ihnen nicht zugeordneten Platz zelten. Früh sind sie vor dem Aufstehen wieder weiter, natürlich nicht ohne ihre hundert Türen zu schlagen und dabei den Diesel laufen zu lassen. Das ist der Fluch und Segen, den die Straße 7 mit dem nachfolgenden Massentourismus mit sich gebracht hat. Andrerseits hat sie die Nachfahren der Siedler aus ihrer Einsamkeit befreit und das Gebiet südlich von Puerto Mont erst an den Rest der Welt angeschlossen.
Auch Puerto Mont wurde einst von deutschen Kolonisten urbar gemacht. Wie Puyuhuapi, das von deutschen Siedlern gegründet wurde. Auf den kleinen Unterschied zwischen Siedler und Kolonisten, nicht zu verwechseln mit Kolonialisten, verweise ich im politischen Teil dieses Blogs unter dem Titel „Deutsche in Chiele“.
Das Buch, welches mir Luisa mit auf dem Weg gegeben hat, beschreibt sehr eindrucksvoll, wie mühsam diese Orte besiedelt und dem Urwald entrissen wurden, bzw. wie aus Waldhagen Puyuhuapi wurde. Ich suche nach Motivationen, warum Menschen diesen schweren Weg aus der geschlossenen Heimat in die offene Wildnis, oder in ihr selbst verschuldetes Elend gegangen sind.
Auf dem Camp in Lllanquhue stehe ich direkt am Lago Lllanquhue und beobachte die Backpacker, wie sie morgens weitertrampen. Da aber hier die zum Camp gehörende Familie das angrenzende Restaurant total in Beschlag nimmt, wo ich hätte arbeiten können, ziehe ich weiter. In Südamerika ist es üblich, dass das Leben der Familien, die einen Campingplatz anbieten, mit dem der Camper unmittelbar und räumlich verquickt ist. D.h. die Familie inmitten der Camper lebt und umgekehrt.

In Fruttilar erinnert ein Museum an die Zeit der deutschen Kolonisten. In Puerto Octay ist ein Camp, das so ruhig ist, dass ich mich vom Stress der Campsuche erholen kann. Der kleine, ruhige und idyllische Ort erinnert mit seinem satten Grün an Heimat, wenn nicht auf der anderen Seite des Sees der über 2.600 m hohe Vulkan Osorno drohen würde. Abends gerate ich zufällig in ein kleines Konzert, u.a. mit einem Minueto von Bach, was man hier eher nicht vermutet. Leider wieder mal ohne Fotoapparat, weil ich ja eigentlich nur ein Bier trinken gehen wollte.

 

 

 

 

0 Kommentare

  1. Anja

    Hallo Manfred! Schöne Bilder hast Du gemacht! Ich war schon 3x um die Erde gereist, aber immer nur
    im Auftrag meines Arbeitgebers. Und dann hat man niemals Zeit, etwas zu sehen…(Wenn man auf Urlaub ist, hat man nie Geld…).
    Grüsse von Istvan

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