Für den Kanzler bedeutet der Angriffskrieg gegen die Ukraine eine Zäsur. Eine Zeitenwende war es auch für mich, wenn auch nicht von der Tragweite wie die vom Mittelalter zur Neuzeit, und auch nicht wie die aus westlicher Sicht. Wie die Meisten bin ich von diesem Krieg überrascht worden. Seit dem 2. Weltkrieg wurde das Völkerrecht zwar unzählige Male verletzt, insbesondere vom Westen. Ich hatte nur nicht erwartet, dass auch Russland so weit gehen würde. D.h. ich habe mich täuschen lassen. Im Osten war der Blick auf das größte Land der Welt getrübt bis blind. Aber das Russland von heute mit dem Zarenreich gleichzusetzen, entbehrt noch jeder Grundlage.
Den bedrohlichen Aufmarsch russischer Truppen vor der Grenze zum Donbass verstand ich noch als ernsthafte Drohung Russlands an den Westen, nachdem auf russische Forderungen nicht reagiert wurde. Einerseits verurteile ich diesen Aggressionskrieg, wie jeden anderen auch. Andererseits konnten aufmerksame Beobachter sehr wohl registrieren, dass auch dieser Krieg eine Vorgeschichte hatte, die in der Ukraine schon 2014 mit dem pro-westlichen Putsch auf dem Maidan begann. Diese Vorgeschichte kann nicht so einfach ausgeblendet werden, nur weil sie aus westlicher Sicht anders interpretiert wird, entgegen den Tatsachen.
Die Westintegration der Ukraine, gepaart mit der Nato-Osterweiterung, widerspricht dem Sicherheitsinteresse Russlands, welches vom Westen arrogant und überheblich ignoriert wird. Stattdessen profilieren sich alle westlichen Politiker als Hobbypsychologen und versuchen in den Kopf Putins zu schauen. Daraus leiten sie fehlinterpretiert ab, dass die Ukraine Russland besiegen könnte, wenn man sie aufrüstet. Bevor Russland besiegt (oder im westlichen Sprachgebrauch „geschwächt“) wird, liegt Europa eher in Schutt und Asche oder ist atomar verseucht. Das wird von den Hobbypsychologen in kindlich, naiver Umnachtung bewusst ausgeblendet. Es klingt aber glaubhaft, denn Angst vor einem Weltkrieg hätte ja mit Intelligenz zu tun. Die Alternative, eine Lösung des Konfliktes durch Verhandlung und Diplomatie zu erreichen, wird gänzlich vernachlässigt. Stattdessen lässt man/frau über die gleichgeschaltete Mainstream-Medien vermelden, man hätte sich bemüht. In Wirklichkeit organisiert die Außenministerin die Lieferungen von Angriffswaffen in Kriegsgebiet. Sie tötet damit Menschen und verkauft uns das als alternativlose Notwendigkeit, statt nach diplomatischen Lösungen zu suchen. Dafür sollte sie abtreten. Die sich hinter Verteidigung versteckende Kriegsministerin wird dafür gescholten, dass sie Ihren Sohn mit dem Bundeswehrhubschrauber auf Sylt in den Urlaub ausfliegen lässt. Abtreten sollte sie vielmehr, weil sie als Kriegspartei agiert. Und ein grüner Wirtschaftsminister übt sich im ökonomischen Selbstmord, nur um ideologische Zwänge zu erfüllen. Statt das Klima zu retten, kauft er lieber teures Öl und Gas von seinen Lieblingsdespoten. Er sollte abtreten, weil sein Sanktionsregime volkswirtschaftliche Schäden hinterlässt. Eine völlig desaströse deutsche Politik im Interesse der USA. Statt Frieden propagiert sie Eskalation der Gewalt. Und die USA und Russland bekämpfen sich bis auf den letzten Ukrainer.
Russland hat die Macht, dem Großmachtstreben der USA Einhalt zu gebieten. Aus westlicher Sicht relativiert diese Sichtweise die Aggression des Kremls. Es ist richtig: Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber ist das Großmachtstreben des Westens nur eine Erfindung der Verschwörungstheoretiker? Eindeutig nein.
Russland sieht in dem Näherrücken atomar bestückter Nato-Raketen eine Gefahr, die der Westen nicht anerkennt. Moskaus Interessen würden nicht berührt werden, wenn kleinere Staaten unter den Schutzschirm der Nato streben. Aus dem alten Zarenadler, der wieder über dem Kreml weht, wird das Großmachtstreben Russlands abgeleitet. Zu Recht? Auf welcher Grundlage? Bisher hat Russland militärisch „nur“ an seiner Peripherie eingegriffen, da dort seit dem Ende der Sowjetunion nationale Interessen wieder überbewertet und vom Westen gesponsert werden. Der Westen überbewertet das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Bündnisfreiheit als Teil staatlicher Souveränität, wenn es die Gefahr übersieht, die Russland sieht. Die Bedrohung Russlands durch die Nato ist keine Nebelkerze. Spuren des Großmachtstrebens der USA und des Westens sind auf der ganzen Welt zu sehen. Was ist armseliger: Antiamerikanismus oder Russophobie? Nieder mit den Einäugigkeiten und den Doppelstandards.
Man kann einen Aggressor, wie jetzt Russland, nicht der Völkerrechtsverletzung anklagen und im Namen westlicher Werte und Freiheit ständig Angriffskriege führen und dann auch noch rechtfertigen. Der Westen konnte die vielen verbrecherischen und völkerrechtswidrige Kriege seit dem Ende des 2. Weltkrieges führen, weil die kleineren Länder der 3. Welt keinem Militärbündnis angehörten, das sie um Beistand bitten konnten. Wenn die Nato jetzt alle Länder einverleibt, die an Russland grenzen, wäre es für Russland wegen des „Bündnisfalles“ Selbstmord, gewaltsame Grenzveränderungen vornehmen zu wollen. Umgekehrt wäre es für den Westen Selbstmord, Russland erklärter Maßen gewaltsam zu vernichten oder Putin auswechseln zu wollen. Selbstmord oder Mord führt in diesem Fall zum 3. Weltkrieg und zur Vernichtung der Welt. Der Westen kann für sich nicht in Anspruch nehmen, die Situation entspannen zu wollen. Er unternimmt alles, um die Lage anzuheizen. Natürlich alles „nur im Namen der Freiheit“.
Der Krieg Russland gegen Ukraine hat meine Sicht auf das Russland unter Putin verändert. Er führt aber nicht dazu, dass sich auch meine Sicht auf die Kriege des Westens verändert. Der Westen und die Nato waren bisher die eigentlichen Kriegstreiber. Und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich an dem aggressiven Wesen des Kapitalismus, bzw. des Westens unter Führung der USA etwas geändert haben soll. Bisher hat der Westen nach Weltherrschaft gestrebt und stößt damit neuerdings auf Widerstand. Das ist die Zeitenwende.