Aus offiziellen Kanälen ist nur von Erfolgen der Wiedervereinigung zu hören. Diese gibt es auf den Gebieten des Konsumgüterangebots und der Reisefreiheit. Hier haben sich die Erwartungen für die Meisten erfüllt. Infrastruktur und Gebäudebestand wurde modernisiert und die Stadtzentren erneuert. Umweltbelastende Industrie wich einer blühenden Landschaft. Als Kohl von blühenden Landschaften sprach, meinte doch wohl nur: Ihr werdet schon sehen was euch blüht.
Darüber hinaus sind jedoch zentrale wirtschaftliche Ziele, die 1990 für Ostdeutschland formuliert wurden, nicht erreicht worden. Laut einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle hinkt die ostdeutsche Wirtschaft der westdeutschen weiter deutlich hinterher. Von einem selbsttragenden Aufschwung ist der Osten heute weiter entfernt als 1990. Ein ehemals entwickeltes Industrieland wurde in ein vorindustrielles Stadium zurückgeworfen. Statt Aufbau oder Umbau dominiert in Ostdeutschland der Rückbau. Die Lohnangleichung stagniert, die Massenkaufkraft ist rückläufig. Statt Selbstbestimmung herrscht wirtschaftliche Fremdbestimmung. Die Abwanderung hält an und die Lebensqualität sinkt. Die Verschuldung kommunaler Haushalte im Osten steigt und ist um ein Vielfaches höher, als zu Zeiten der DDR. Statt Nahrungsmittel-Selbstversorgung gibt es Einfuhrzwang. Die West-Ost-Unterschiede sind größer als in jedem anderen Land Europas. Im Vergleich zu anderen ost- und südosteuropäischen Staaten ist der technologische Vorsprung, den die DDR hatte, stark gesunken. Und das obwohl mit 1,5 Billionen € nach der Wende mehr Geld in den Osten Deutschlands geflossen ist, als in alle diese Staaten zusammen. War das so gewollt oder hat es der liebe Gott, sprich der Markt, gerichtet? Wie auch immer, der Westen partizipiert letztendlich vom wirtschaftlichen Niedergang im Osten.
Zeitgenossen beurteilen ihre Epoche anders als die Nachwelt. Historiker der Nachwelt werden zu ganz anderen offiziellen Bewertungen kommen, als bestellte „Historiker“ der Gegenwart. Matthias Krauß, Publizist und Journalist, versucht frei nach Wilhelm Busch „auf das Ende zu sehen“. Aus seiner Sicht ist der Spruch „Nun wächst zusammen, was zusammen gehört“, kläglich gescheitert.
Die vielen Bürger, die nach der Gründung DDR aus Angst vor dem „realen Sozialismus“ geflüchtet sind, haben ihr Hab und Gut nach der Wiedervereinigung zurückerhalten. Lt. Einigungsvertrag wurde es ihnen nach dem Prinzip „Rückerstattung vor Entschädigung“ zugesprochen. Die Bürger, die dieses Hab und Gut in 40 Jahren DDR erhalten und modernisiert haben, gingen leer aus. Auf dieser Basis konnte nichts zusammenwachsen. Friedliche Koexistenz fand nur im Fernsehen statt („Stilles Tal“, TV-Drama 2011), nach dem Motto: Friede, Freude, Eierkuchen. Das Hab und Gut des Staates wurde für ein Appel und ein Ei über die Treuhand an den Mann, sprich an den Wessi gebracht, um es auszuschlachten.
Stellt man z.B. die Anzahl der Kinder in Tageseinrichtungen oder die Arbeitslosigkeit in einer Grafik dar, bildet sich deutlich die ehemalige Grenze zwischen BRD und DDR ab. Nicht Begriffe wie Ossi oder Wessi spalten heute, sondern die anhaltenden Unterschiede zwischen Ost und West, zwischen arm und reich, und zwischen oben und unten.
Bis heute wurden in der deindustrialisierten Zone Ostdeutschlands die Unterschiede zwischen West und Ost weiter fortgeschrieben. Für den Osten gilt: 20% geringerer Lohn, höhere Armut, mehr Hartz IV-Empfänger, geringere Rente und Rentenunrecht, viel kleineres Vermögen, geringere Wirtschaftskraft, höhere Arbeitslosigkeit, mehr Krippenplätze, bessere Bildungserfahrungen, höhere Wahlerfolge der Linken, mehr Orientierungslosigkeit besonders unter Jugendlichen der Wendezeit, sowie anscheinend mehr rechte Rattenfänger, höhere Geburtenrate, geringere Lebensqualität, höhere Abwanderung, weniger Web-Präsenz, schönere Ampelmännchen, mehr FKK-Plätze, usw. usw. (Liste komplett unvollständig). Die Zahl der Beschäftigten ist in 20 Jahren seit 1992 im Osten um 1,2 Millionen zurückgegangen und im Westen um 1,1 Millionen gestiegen!
Lt. Sozialreport 2014 des Sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums ist eine große Mehrheit der Ostdeutschen auch 25 Jahre nach der Wende skeptisch, was den Stand der Einheit betrifft. Bei der Mehrheit der Westdeutschen hat sich nicht viel geändert. Der Graben zwischen denen, die wirtschaftlich Erfolg haben, und denen, die abgehängt wurden, wird größer. Während die Zufriedenheit mit der persönlichen wirtschaftlichen Situation groß ist und sich vor allem für Ostdeutsche verbessert hat, ist die große Mehrheit der Bundesbürger unzufrieden mit der politischen Kultur und Demokratie im Land.
Vielleicht sollten Sie statt nach Afrika einmal eine Expedition in die neuen Bundesländer machen. Was Sie hier beschreiben entspricht nicht der Wirklichkeit: Die Lebenserwartung ist seit 1989 gestiegen, nicht gesunken. Fragen sie einmal nach der Witwenrente in der DDR. Da kämen Ihnen die Tränen in die Augen. Das Trinkwasser ist wieder sauber, die Luftverschmutzung ist zurückgegangen.
Wie kommen Sie darauf dass die Krippenerziehung gut war? Lesen Sie einmal, was eine kommunistische Ärztin in der DDR dazu geschrieben hat oder der Psychiater Maaz, ebenfalls DDR-Bürger, oder die PISA-Auswertung zum Sozialverhalten deutscher Schüler, . Die Schule? Niedrige Abiturientenquote, Schwerpunkt Auswendiglernen, die Lehrer gasben lieber gute Noten als sich ständig rechtfertigen zu müssen. Gut waren einzig die Eliteschulen. Die weite Verbreitung von Neonazis hat ihre Wurzeln in der DDR, da war es schick, wenn SED-Kinder ihre SED-Kadereltern damit provozierten. Technologischer Vorsprung der DDR: Der größte Mikrochip der Welt!
Si tacuisses….
Gruß aus Potsdam
Hallo basedow1764,
ich habe überlegt, ob ich mich auf die Plattitüden eines typischen BesserWessi einlasse. Eigentlich ist es ja zum Lachen, wenn einer aus der alten Bundesrepublik einem aus den „neuen“ Bundesländern erklären will, wie es in der „Ostzone“ war. Soll ich Sie ernst nehmen, oder werfe ich Perlen vor die Säue? Wie auf ihrem Blog nachzulesen, haben Sie sich mit dem „Nationalsozialismus“ auseinandergesetzt und verfolgen jetzt, nachdem Sie sich als Lehrer in Potsdam niedergelassen haben, „mit Wiedererkennen vertrauter Phänomene die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Osten Deutschlands“. Diese Gleichsetzung von Faschismus und DDR zeugt schon von erheblicher Unkenntnis geschichtlicher und aktueller Ereignisse. Oder ist es arrogantes ignorieren? Wenn im Rahmen des kompletten Austauschs der DDR-Elite selbst Schulleiter durch drittklassige Importe ersetzt wurden, ist es nicht verwunderlich, dass die Jugend nur mit der halben Wahrheit aufwächst, von der es immer mindestens 2 gibt. In meinem Blog versuche ich, Fakten zu nennen, die offiziell im wiedervereinigten Deutschland permanent ausgeblendet werden. D.h. auf die Erfolge brauche ich nicht zu verweisen, das wird wohl offiziell zur Genüge getan.
Sie haben recht, die Lebenserwartung ist auch im Osten der Republik gestiegen. Die Lebensqualität jedoch ist gesunken, weil dazu mehr gehört, als nur materieller Wohlstand und Umweltschutz. Dazu gehört vor allem auch soziale Gerechtigkeit. Sicher ist ihnen auch nicht bewusst, dass die guten Seiten des DDR-Schulsystems über die Hintertür anderer Länder wieder nach Deutschland finden. So wie man jetzt die guten Seiten der Kinderbetreuung in der DDR wiederentdeckt, indem man jedem ein Krippenplatz verspricht. Ein Versprechen, was man vor allem im Westen Deutschlands nicht halten kann. Vielleicht wissen Sie es nicht besser oder verleugnen es, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Ich stelle nicht in Abrede, dass es Rentner gibt, die im Osten gut gestellt sind. Aber Sie scheinen nicht zu wissen, dass es nach wie vor schwerwiegende Rentenungerechtigkeit in der Bundesrepublik gibt. Nicht einem Nazi wurde die Rente in der „alten“ Bundesrepublik gekürzt. Bei Staatsnahen aus der DDR z.B. wird das aus politisch, ideologischen Gründen als normal abgetan. Auf dieser Basis habe ich nicht das geringste Interesse an der Weiterführung dieser Korrespondenz mit Unverbesserlichen.
Vielleicht fühlen Sie sich dem ideologischem Ziel, die DDR zu delegitimieren (so ihr Außenminister Kinkel nach der Wiedervereinigung) verpflichtet. Dann könnte ich ihnen Staatsnähe vorwerfen, was Sie sicher nicht erschrecken würde. Damit wir uns nicht missverstehen, ich kenne niemand, der sich ernsthaft die DDR zurückwünscht, aber ich kenne Viele, die die Vorstellung von einer besseren Welt nicht aufgegeben haben. Wie ich das meine, habe ich ausführlich auf meiner politischen Reise beschrieben.
Gruß ein alter Potsdamer.