Schaut man auf die Wahl-Karte, wird einem schwarz vor Augen. Aber der Schein trügt. Es ist Bewegung im politischen System der Bundesrepublik. Aber Fortschritt (Veränderung im positiven Sinne, verbunden mit Innovation) dauert, viele Wahlperioden. Viel zu viele, könnte man meinen.
Auch wenn es nach dieser Wahl noch nicht zu einem Politikwechsel kommt, ist er unvermeidlich. Vor 30 Jahren zog mit den Grünen eine Partei in den Bundestag, die aus der Friedensbewegung hervorging. Dann zieht nach der Wiedervereinigung eine Partei ins Parlament, für die der demokratische Sozialismus Programm ist. Neben dem Ampelmännchen nicht das Einzige, was von einer Ehemaligen und Todgesagten verbleibt. Heute ist sie drittstärkste Kraft (im Osten die 2.). Eine dritte Partei, die zum Grundinventar der alten Bundesrepublik gehört, verschwindet von der Bildfläche.
Der Rest schart sich um „Mama“. 1967 bis 83 waren für eine absolute Mehrheit fast 45% aller Wählerstimmen erforderlich. Jetzt sind es gerade mal 29,2% von 61,8 Millionen Wahlberechtigten, die für die einfache Mehrheit CDU gestimmt haben. Eine schwarze, sprich konservative, einfache Mehrheit kommt heute nur noch zusammen, wenn sich alle um „Mama“ scharen und Ballast, wie die FDP über Bord werfen. 2,1 Mio FDP-Wähler haben sich in das Boot der CDU gerettet. Trotzdem, oder deshalb haben es die Konservativen schwer, einen Partner für die Mehrheit, sprich für die Zukunft zu finden. Sie muss sie sich aus dem Lager links von der CDU holen. Lässt sich die halbrote SPD zu einer Koalition überreden, muss sie ihre Wahlversprechen brechen, genauso wie die CDU. So wird die „Urne“ zum Abfallbehälter für verblichene Wahlversprechen. Die Quittung bekommen sie bei der nächsten Wahl und verlieren weitere Millionen Stimmen. Lassen sich die Grünen überreden, spielen sie nach der nächsten Wahl auch keine Rolle mehr. 1998 war Rot-Grün mit 42,8% aller Wahlberechtigten vertreten. Sie hatten nach 16 Jahren Kohl für einen „Politikwechsel“ gestimmt. Rot-Grün blieb aber bei ihrer Abgrenzung nach links, stimmte für Kriegseinsätze und war mit der Agenda 2010 für soziale Verwerfungen verantwortlich. Von da an ging es bergab mit Rot- Grün (grau), aber auch mit dem schwarz/gelben Lager (schwarz).
37,1% aller Wahlberechtigten (farblos in der Grafik oben) lassen sich heute gar nicht mehr im Parlament vertreten. Davon werden 8,6%, die „Sonstige“ Parteien wählen, durch die 5%-Klausel aus dem Parlament ausgeschlossen. Von diesen Parteien hat aber auch keine das Programm, um langfristig mitzuregieren. Hier sind viele der Wechsel- und Protestwähler zu finden.
Nichtwähler mit 28,5% der Stimmen aller Wahlberechtigten interessieren sich durchaus für Politik und halten die Demokratie mehrheitlich (85%) für eine gute Idee. Aber sie erliegen der Politikverdrossenheit, die das schwarz/gelb/rot/grüne Lager mit seiner zur Beliebigkeit verkommenen Politik und dem ständigen Brechen seiner Wahlversprechungen zu verantworten hat. Etwa 16% von ihnen haben zuletzt SPD, 13% CDU und etwa 6% andere Parteien gewählt. 38% von ihnen sind Dauer-Nichtwähler oder Wahlverweigerer. Die Nichtwähler sind überdurchschnittlich zwischen 45 und 59 Jahre alt und eher Ostdeutsch oder/und weiblich, haben ein niedrigeres Einkommen und eine geringere Bildung. Beamte wählen öfter als Arbeiter. Der Nichtwähler schaut mehr private Fernsehsender, interessiert sich mehr für Prominente und weniger über Geschichte oder Außenpolitik, wie Umfragen zeigen. Die Nichtwähler könnten die nächste Wahl entscheiden und für einen Richtungswechsel in der Politik sorgen, wenn sie denn wählen würden. Sie überlegen noch und brauchen Nachhilfe, oder Aufklärung.
Die theoretischen Grafiken über Wählerwanderungen stimmen schon deshalb nicht, weil sie nur die Bewegung zwischen den Parteien und nicht die der Nichtwähler berücksichtigen. Ehemalige CDU-Wähler, die nicht mehr gewählt haben, weil sie vom „Linkdrall“ Merkels frustriert waren, sehen wohl eher in Parteien eine Alternative, die rechts von der CDU stehen. Das ändert aber nichts an der Tendenz, dass die CDU allein keine Mehrheit mehr bekommt und diese auch kaum noch in einer Koalition findet. Ausnahmen, wie eine „große Koalition“, bestätigen diese Tendenz. Da ohne Koalitionen aber keine Mehrheiten mehr zustande kommen, und die Unterschiede der Parteien in einer Koalition kaum noch sichtbar sind (zumindest aus der Sicht der Nichtwähler), nimmt die Politikverdrossenheit zu. Das betrifft alle Parteien, auch die Linke, die den Wunsch der Wähler mitzuregieren nur erfüllen kann, wenn sie sich auf Kompromisse, sprich Koalitionen einlässt. Daran wird sich nichts ändern, solange die Wähler, insbesondere die Nichtwähler, keine Alternativen sehen und kein klares Votum abgeben. Ein Teufelskreis.
Bei der Bundestagswahl 2013 waren von den rund 61,9 Millionen Wahlberechtigten etwa die Hälfte zwischen 30 und 59 Jahre alt. Ein Drittel war über 60 und lediglich ein Sechstel jünger als 30. Mit steigendem Alter nahm die Wahlbeteiligung zu. Am höchsten war sie mit 79,8 % bei den 60- bis 69-Jährigen. Bei den 21- bis 24-Jährigen war die Wahlbeteiligung mit 60,3 % am geringsten. D.h., den Ausgang kommender Wahlen könnte bei steigender Wahlbeteiligung die zahlenmäßig stärkste Altersgruppe zwischen 30 und 59 maßgeblich beeinflussen. Die Alten, und vor allem die ganz Alten, wählen mehrheitlich konservativ, also CDU. Die LINKE ist mit 36,5 % am Meisten von der Altersgruppe der 45- bis 60-Jährige gewählt worden. Bei kommenden Wahlen ist es daher wahrscheinlich, dass sich insbesondere bei einer höheren Wahlbeteiligung eher eine Verschiebung nach links ergibt.
Ein Zurück zu alten Zeiten wird es nicht geben. Neue Werte dieses Abendlandes, wie mehr Demokratie, mehr Gerechtigkeit, mehr Frieden, mehr Abrüstung, weniger Rüstungsexporte, bessere Umwelt, Datenschutz, ein besseres Europa usw. werden künftig wahlentscheidend sein, wenn es denn um Inhalte geht.
Die Parteibasis der SPD lehnt eine große Koalition ab, so war zu hören. Die offizielle meinungsbildende Minderheit behauptet, dass die Mehrheit der Wähler jetzt eine „große Koalition wünscht“, obwohl die eigentliche Mehrheit mit 319 von 630 Sitzen im Bundestag halbrot/rot/grün gewählt hat. Das wäre die Koalition, die die größte programmatische, also inhaltliche Übereinstimmung hat, in Fragen wie Bildung, Soziales und Ökologie. Weil die Linke z.B. Kriegseinsätze ablehnt, lassen Grüne und SPD eine Zusammenarbeit bisher platzen. Angeblich sei das „politisch“, bzw. lt. „Umfragen“ nicht gewollt! So mutieren demokratische Mehrheiten zu oppositionellen Zwergen. Stimmen wurden abgegeben – an der Garderobe der Demokratie.