Namibia ist ein Reiseland. Man bekommt als Reisender den Eindruck, der Entwicklungsstand ist relativ hoch. Nach einfachen Pro-Kopf-Wirtschaftsprodukt gesehen steht Namibia in Afrika auch unter den besten zehn. Aber Namibias Gini-Koeffizient ist der höchste der Welt. Das heißt, dass die Vermögensverteilung zwischen den reichsten und ärmsten 10% der Gesellschaft so weit auseinander klafft, wie in keinem anderen Land der Erde.
Die Geschichte Namibias ist verknüpft mit der, und belastet durch die Kolonialmacht Deutschland. Auf dem Waterberg- Plateau gibt es einen Friedhof für deutsche Soldaten. Sie starben lt. Inschrift, die heute nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist, „in treuer Pflichterfüllung den Heldentod“, als sie sich „vor dem Angriff der Hereros verteidigten“. Hier wird wieder mal, oder immer noch, Ursache und Wirkung vertauscht. Die Eindringlinge im Land der Hereros waren die Deutschen. Die Schlacht am Waterberg im August 1904 war die entscheidende im Aufstand der Hereros gegen die deutsche Kolonialherrschaft.
Kolonialtruppen des Kaiserreichs hatten im damaligen Deutsch-Südwestafrika zwischen den Jahren 1904 und 1908 Schätzungen von Historikern zufolge den Tod von bis zu 100 000 Herero und Nama zu verantworten. Rund 80 Prozent dieser Volksgruppen verloren dabei ihr Leben. Sie waren zwar zahlenmäßig über-, aber waffentechnisch unterlegen. Von Trotha ließ viele auf der Grundlage eines Vernichtungsbefehls in der Omaheke-Wüste einkesseln und dort verdursten. In der Wissenschaft wird das als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts bewertet. Die Bundesrepublik hat viele Jahrzehnte zu diesen Grausamkeiten geschwiegen. Einer namibischen Delegation, die 2011 in Berlin war, um geraubte Totenschädel aus der Kolonialzeit nach Namibia zurückzuholen, unterstellte der deutsche Botschafter in Namibia „verdeckte Motive“ und meint damit ganz undiplomatisch Entschädigungszahlungen. Er spielte den Eklat herunter und meinte, seine Regierung unterhalte „keine Sonderbeziehungen zu individuellen ethnischen Gruppen“. D.h. die Bundesregierung lehnt direkte Verhandlungen mit Vertretern der Herero und Nama ab. Diese wiederum fühlen sich von der namibischen Regierung, die von der aus der marxistisch orientierten Befreiungsbewegung hervorgegangenen Partei SWAPO gestellt wird, nicht vertreten. Auch deshalb, weil viele von ihnen in den angrenzenden Ländern Angola, Botswana und Südafrika leben. Erst 2015 rang sich das Auswärtige Amt dazu durch, von einem Genozid zu sprechen. Versöhnung setzt aber Entschuldigung voraus. Zu einer Entschuldigung war die Bundesregierung grundsätzlich bereit, Entschädigungen wurden aber lange verweigert. Aus deutscher Sicht reichten die laufenden Zahlungen für Entwicklungshilfe aus. Insofern unterscheidet sich Entwicklungshilfe grundsätzlich von Wiedergutmachung. Deutsche Regierungen hatten offensichtlich noch bis vor wenigen Jahren gehofft, dass die Verbrechen irgendwann in Vergessenheit geraten würden. Doch diese haben sich tief in das Gedächtnis der betroffenen Völker eingebrannt. Alljährlich findet in der Stadt Okahandja ein Herero-Tag statt.
Auch Tansania beklagt bis zu 300.000 Opfer aus dem sogenannten Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1907 im damaligen Deutsch-Ostafrika. Wie in Namibia wurden die Aufstände in Ostafrika in einem Vernichtungsfeldzug niedergeschlagen. Im Maji-Maji-Krieg setzten die deutschen Kolonialtruppen auf die Strategie der verbrannten Erde. In Tansania weiß jedes Schulkind über den Maji-Maji-Krieg Bescheid, in Deutschland ist er weitgehend unbekannt. So wie die Massaker und sog. Strafaktionen in Togo, in Kamerun und in der Südsee. Die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen des deutschen Kaiserreichs steht hierzulande offensichtlich noch am Anfang.
Frankreichs Präsident Hollande hat die französische Kolonialzeit in Algerien auch als „zutiefst ungerecht und brutal“ verurteilt, und „erkennt die Leiden an, die die Kolonialisierung dem algerischen Volk zugefügt hat.“ Zu einer Entschuldigung für französische Verbrechen ließ aber auch er sich nicht hinreißen.
In Namibia wurde ebenfalls eine Landreform durchgeführt, meist friedlich wie in Südafrika, aber ebenfalls weitgehend ohne Erfolg wie in Simbabwe. Namibia ist das wasserärmste Land des südlichen Afrikas, die Möglichkeiten für Landwirtschaft sind entsprechend gering. Die meisten Farmer entscheiden sich daher für die Viehwirtschaft.
Aus einer aktuellen deutschsprachigen Zeitung erfahre ich von einem Bespiel deutscher Entwicklungshilfe. Im Rahmen einer deutsch- namibischen Sonderinitiative wurden 410 Boerbok-Ziegen an 84 Jugendliche, an der Armutsgrenze lebende Siedler aus einem Baracken-camp verteilt. Finanziert wurden sie aus dem Etat von 200 Mio Namibische Dollar der Sonderinitiative.
Damit sollte einfachen Kommunalfarmern und umgesiedelten Namibiern durch ein Start in der Viehzucht die Möglichkeit gegeben werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Nicht alle Wilde Siedler sind dort hin umgesiedelt worden, wo der Staat Farmen gekauft hat. Dort wo die entsprechende Infrastruktur und Weidefläche fehlt, verfehlt die Initiative aber ihr Ziel. Wer durch Namibia fährt, dem fällt auf, dass das gesamte Land eingezäunt, d.h. an weiße, bzw. kommerzielle Farmer verteilt ist. Nun darf aber die verbliebene Fläche neben den Straßen lt. Gesetz nicht als Weideland genutzt werden. Also handeln einige gesetzwidrig. Damit wird der alte Konflikt mit den Nachbarn, den kommerziellen Farmern, neu entfacht. Andere haben ihre Ziegen in ihrer Notlage geschlachtet und das Fleisch zum Eigenbedarf genutzt oder verkauft. Einige kommerziellen Farmer haben die Tiere auch aufgekauft. Damit ist die Initiative fehlgeschlagen.
Das Beispiel zeigt, dass noch lange nicht alle Folgen aus der Kolonialzeit und der Rassentrennung überwunden sind. Namibia hat erst 1990 seine Unabhängigkeit erlangt. Der relative Wohlstand in Namibia ist immer noch abhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.